Zettelwirtschaft statt E-Akten

Digitalisierung der Verwaltung kommt nur in Trippelschritten voran

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Berliner Verwaltung kollabiert auch, weil der Senat mit der Modernisierung kaum vorankommt, sagen die Grünen.

Gefährdet das lang anhaltende Chaos in den Bürgerämtern womöglich die korrekte Abwicklung der im September anstehenden Abgeordnetenhauswahlen? Das wollte der Grünen-Abgeordnete Thomas Birk vor kurzem in einer Schriftlichen Anfrage vom rot-schwarzen Senat wissen. Immerhin müssen je nachdem, ob jemand von außerhalb zuzieht oder innerstädtisch die Wohnung wechselt, Fristen zwischen drei Monaten und 35 Tagen vor dem Urnengang eingehalten, um im Wählerverzeichnis korrekt erfasst zu werden.

Beim Senat glaubt man nicht an eine Gefährdung, lautet der Tenor der Antwort, schließlich werde mit den für die Bürgerämter zuständigen Bezirken ein »gemeinsames Verfahren zur Sicherstellung der Wahlen entwickelt«.

Das ist nur eine Facette des altbekannten Verwaltungselends in der Stadt, das aus Sicht der Grünen-Fraktion gar nicht nur am seit Jahren beklagten Personalmangel liegt. Zu großen Teilen hängt es an Struktur und Abläufen. »Es gibt seit Jahren kein Interesse im Senat, sich mit Verwaltungs- und Strukturänderungen zu befassen«, sagt Thomas Birk, Sprecher der Fraktion für Verwaltungsmodernisierung.

Laut rot-schwarzem Koalitionsvertrag hätte mit 34 000 Arbeitsplätzen bis zu diesem Jahr die Hälfte der Verwaltung auf digitale Aktenführung (E-Akte) umgestellt sein sollen. Im Juli 2015 feierte es der zuständige Innensenator Frank Henkel (CDU) als Erfolg, dass ab Sommer 2017 bereits 4300 digitalisierte Arbeitsplätze vorhanden sein werden, nicht mal ein Siebtel des ursprünglichen Ziels. Und das, obwohl das Konzept zur digitalen Verwaltung von 2012 zehn Prozent Effizienzgewinn verspricht. »Das sind die zehn Prozent Verwaltungsmitarbeiter, die uns momentan fehlen«, sagt Birk. Und: »Es gibt ein Vollzugsdefizit.« Der seit sechs Jahren zwischen den verschiedenen Senatsverwaltungen kursierende Entwurf des E-Governmentgesetz, grundsätzliche Voraussetzungen für die Digitalisierung, ist im Oktober 2015 dem Parlament vorgelegt worden. Der Senat habe »keinen überzeugenden Entwurf vorgelegt«, urteilte damals Simon Weiß von der Piratenfraktion. Die Umsetzung habe der Senat »effektiv in die nächste Wahlperiode verschoben«. Aber auch die Bezirke haben bis heute nicht ihre Abläufe vereinheitlicht - eine zwingende Voraussetzung, um zu vertretbaren Kosten und ohne neue Probleme an Schnittstellen zwischen verschiedenen Ämtern Programme entwickeln zu können.

Dabei könnte auch für die Bürger so viel vereinfacht werden. »Momentan sind zu jedem Monatswechsel die Bürgerämter verstopft mit Menschen, die den BerlinPass dort mühsam beantragen müssen«, sagt Birk. Mit einer digitalisierten Verwaltung könnten Jobcenter oder Sozialämter mit der Leistungsbewilligung auch vollautomatisch dieses Dokument erstellen.

Um auf dem Weg zur digitalen Verwaltung spürbar voranzukommen, braucht es nach Ansicht der Grünen eine Art Superstaatssekretär mit weitreichenden Befugnissen, sie nennen ihn auf Englisch »Chief Information Officer«. Der von der Großen Koalition gerade angekündigte IT-Staatssekretär wird sich nach Birks Meinung dagegen nicht durchsetzen können. Für die Datensicherheit soll ein »Chief Security Information Officer« zuständig sein, er soll auch Sanktionen gegen Behörden verhängen können, die fahrlässig agieren. In einem Gremium sollen die Bezirke sich auf einheitliche Verfahren einigen.

»Es lohnt sich, 100 Millionen Euro in die Entwicklung der E-Akte zu stecken«, sagt Birk. Sogar das doppelte wäre angesichts der Einsparungen sinnvoll. »Man müsste nur endlich mal anfangen.«

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