Geben und helfen

Viele Flüchtlingsprojekte werden auch über Crowdfunding finanziert

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 6 Min.
Wer helfen will, braucht in der Regel Geld. Soziale Initiativen wie »Angehört« setzen deshalb immer häufiger auf die Masse der Internetnutzer. Doch auch Crowdfunder wollen erst mal überzeugt werden.

Anne-Marie Kortas betritt eine Turnhalle in Berlin-Pankow, um zum Teil schlechte Nachrichten zu überbringen. »Es gibt nichts Schlimmeres, als falsche Hoffnungen zu machen«, erklärt sie. In der Turnhalle sind seit Herbst 2015 rund 120 Flüchtlinge untergebracht. Kortas ist Mitglied der Gruppe »Angehört«. In Erstaufnahmelagern und Notunterkünften in Brandenburg und Berlin erklärt sie Flüchtlingen, wie eine Asylanhörung abläuft. Dort wird darüber entschieden, ob ein Mensch in Deutschland bleiben kann oder abgeschoben wird. »Wenn die Fluchtgeschichte einer Frau sexuelle Übergriffe beinhaltet, raten wir ihr, eine weibliche Dolmetscherin für die Anhörung anzufordern. Oftmals wissen die Menschen nicht, dass sie dieses Recht haben«, sagt Kortas, »Eine Anhörung kann sehr traumatisch sein, denn die Geflüchteten müssen alle Details ihrer Geschichte erzählen - egal wie brutal diese sein mögen. Wir bereiten sie mit unserer Arbeit darauf vor.«

Kortas geht zusammen mit einer Übersetzerin für Dari - einer der beiden afghanischen Amtssprachen - zwischen den Schlafparzellen im vorderen Teil der Halle entlang, in denen allein reisende männliche Flüchtlinge leben. Die Trennwände aus weißer Plane sind brusthoch und geben somit den Blick ins Innere frei: Ein junger Mann zieht sich gerade ein T-Shirt über den Kopf, ein anderer liegt mit einem Laptop auf einem Bett. Privatsphäre sieht anders aus.

Seit fast zwei Jahren arbeiten die rund 30 »Angehört«-Mitglieder ehrenamtlich, Kopien und Fahrgeld zahlen sie aus der eigenen Tasche. Doch der Bedarf an Beratung ist seit vergangenem Sommer größer geworden, die Helfer sind am Ende ihrer Kapazitäten. Deshalb sammelt die Gruppe jetzt Geld - per Crowdfunding.

Kaum ein junges soziales Projekt, kaum ein Start-up oder ein neues hippes Produkt kommt heute noch ohne Crowdfunding aus. Gemeint ist damit laut Definition des German Crowdfunding Network die gemeinschaftliche Finanzierung sozialer, kreativer, unternehmerischer oder konsumorientierter Projekte einer Einzelperson oder einer Organisation durch eine Vielzahl von Internetnutzern (die sogenannte Crowd).

Das Netzwerk unterscheidet zwischen drei Spielarten: dem altruistischen, dem hedonistischen und dem gewinnorientierten Crowdfunding. Hauptmerkmal der ersten Spielart ist das einfache Spenden an ein soziales Projekt. Beim hedonistischen Funding geben Interessenten Geld, um ein Geschäft zu ermöglichen oder die Herstellung eines Produkts vorzufinanzieren. Das kann die CD eines Musikers sein, aber auch die erste Charge einer neuen Ware. Meistens erhalten die Geber dafür eine Gegenleistung, zum Beispiel das fertige Produkt, einen Merchandise-Artikel oder eine Autogrammkarte des Künstlers. Beim gewinnorientierten Crowdfunding geben die Nutzer entweder ein Darlehen oder erhalten einen Gewinnanteil am Unternehmen.

Die meisten sozialen Projekte, die weder Produkte verkaufen wollen noch einen Gewinn anstreben, wenden sich an die Plattformen Indiegogo oder - in Deutschland weitaus bekannter - Betterplace. Auch »Angehört« sammelt seit November Geld über Betterplace. Die Plattform funktioniert nach dem Prinzip »Nimm, was du kriegen kannst«: Die Spendensammler geben an, wie viel Geld sie insgesamt brauchen, und definieren einzelne Leistungen, wofür sie das Geld einsetzen wollen.

Die ersten Spendenziele von »Angehört« waren recht bescheiden und sind bereits erfüllt: 600 Euro für Übersetzer, 350 Euro für Handbücher, 4000 Euro für Fahrten in die Heime. Dann definierten sie weitere Bedürfnisse: noch einmal 800 Euro für Übersetzer und die krumme Summe von 14 640,85 Euro für die Finanzierung der ersten sechs Monate einer 30-Stunden-Stelle im Freiwilligenmanagement eines noch zu gründenden Vereins. 9000 Euro davon sind bereits zusammen. Jeder Cent, der gespendet wird, geht ohne Abzug direkt an die Initiative. Die ist mit dem ersten Ergebnis zufrieden.

Plattformen wie Startnext oder Kickstarter, bei denen vor allem gewinnorientierte Projekte registriert sind, funktionieren nach einem anderen Prinzip: Alles oder nichts. Wer über diese Plattformen Gelder sammeln möchte, muss ein benötigtes Budget und einen Zeitraum, in dem das Projekt finanziert werden soll, angeben. Kommt die benötigte Summe bis Ende der Frist zusammen, wird es den Projektinitiatoren ausgezahlt - mit Abzug einer Transaktionsgebühr für die Zahlungsabwicklung und einer Provision an die Plattformbetreiber. Andernfalls geht das Geld an die Unterstützer zurück.

Startnext erklärt das Prinzip so: Die Initiatoren sollen bereits zu Beginn des Crowdfundings realistische Ziele stecken und sich Gedanken über Werbung und Marketing machen. Ohne die volle Summe kann das Projekt nicht realisiert werden, eine Auszahlung ist also sinnlos. Mit der Garantie, dass ein Projekt nur dann das Geld bekommt, wenn es die volle Summe erreicht, sind Unterstützer eher bereit, Geld zu geben. Ein weiterer Anreiz ist, dass sie die Spende von der Steuer absetzen können.

Deutschland ist laut der Studie »Moving Mainstream - The European Alternative Finance Benchmarking Report« der Universität Cambridge nach Großbritannien und Frankreich der drittgrößte Crowd- funding-Markt Europas. 140 Millionen Euro wurden hier im Jahr 2014 über die verschiedenen Online-Plattformen umgesetzt. Im Jahr 2012 waren es erst 31 Millionen Euro gewesen. Der größte Anteil fiel 2014 mit 80 Millionen Euro auf das Crowd- lending, also Kredite an Privatpersonen und Unternehmen. Spendenbasiertes Crowdfunding machte mit rund sechs Millionen einen eher geringen Marktanteil aus.

Eine der erfolgreichsten Crowd- fundingkampagnen eines sozialen Projekts fuhr im vergangenen Jahr die Flüchtlingsuniversität Kiron aus Berlin. Mit dem Alles-oder-Nichts-Modell von Startnext sammelte sie mehr als 500 000 Euro ein. Als »Dankeschön« für die Spender gab es Sticker, T-Shirts, Kapuzenpullover oder ein personalisiertes Spendengeberzertifikat. Die Uni will allen Menschen auf der Flucht einen Studienplatz ermöglichen, egal, wo sie sich gerade befinden. Flüchtlinge können kostenlos an Onlinekursen großer Universitäten teilnehmen und Prüfungen ablegen. Die Kiron-Universität bastelt aus den verschiedenen Angeboten Lehrpläne, die letztlich zu einem Bachelor-Abschluss führen sollen.

Dank eines Stipendiums für Sozialunternehmen hatten die Initiatoren der Kiron-Universität Schulungen für PR und Marketing erhalten. Durch persönliche Kontakte in Flüchtlingslager in der Türkei und anderswo verbreitete sich schnell die Idee der Universität per Mund-zu-Mund-Propaganda und soziale Netzwerke.

Offensichtlich haben die Organisatoren einiges richtig gemacht. Drei Faktoren entscheiden nämlich über den Erfolg einer Kampagne, erklärt Daniel Schultheiß, der sich an der TU Ilmenau mit Onlinekommunikation beschäftigt und über Crowdfunding als Finanzierungsalternative publiziert hat. Das erste ist die Kommunikation: Die Projektinitiatoren müssen wie im klassischen Marketing ihr Produkt an den Kunden verkaufen. Außerdem erwarten die Geldgeber, während der Kampagne regelmäßig über deren Fortgang informiert zu werden.

Zweitens ist der Erfolg wahrscheinlicher, je besser vernetzt die Crowdfunder sind. »Lediglich die Kampagne online stellen reicht nicht«, sagt Schulheiß. Man müsse die Aktion vor allem über soziale Medien bekannt machen. Je größer die Zahl der Follower bei Twitter und der Fans oder Freunde bei Facebook, desto besser. Denn die Menschen, die per Onlineplattform spenden, seien meist selbst gut im Netz unterwegs. Als dritten Faktor nennt Schultheiß die Einzigartigkeit des Projekts - das klassische Alleinstellungsmerkmal, zu dem jeder Marketingexperte Gründern rät.

Bei »Angehört« ist bezogen auf die Vernetzung im Internet noch Luft nach oben: Auf Facebook hat die Gruppe 736 Likes, auf Twitter bisher 20 Follower. Auch »Angehört«-Mitglied Lukas Reuss weiß, dass hier noch Nachholbedarf ist. »Unsere Arbeit kann noch so gut sein, die Menschen müssen allerdings davon erfahren. Aber wie macht man das?« Für Reuss liegt die Antwort in der PR. »Leider braucht auch ein Projekt wie dieses eine gute Marketingstrategie.«

Daher hat sich die Gruppe nun die Unterstützung von Studenten der Design Academy Berlin geholt. Die haben nicht nur bei der Erstellung der Crowdfunding-Kampagne geholfen, sondern auch ein Quiz auf der Internetseite von »Angehört« entwickelt, mit dessen Hilfe jeder testen kann, ob er Asyl in Deutschland erhalten würde. Etwas Entsprechendes rät Reuss - ganz im Sinne des Experten Schultheiß - auch anderen Crowdfundern: »Seid kreativ und macht irgendetwas Außergewöhnliches.«

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