Keine Reparationen an Herero

Trotz des 2015 aufgenommen offziellen Dialogs: Unterhändler Ruprecht Polenz nimmt Abstand von »Entschädigungszahlungen« / Stattdessen Bildungsangebote und Stipendien für die Nachkommen des Völkermords

  • Kerstin Ewald
  • Lesedauer: 3 Min.
Noch immer tut sich die Bundesrepublik schwer mit einer Entschädigung für das Massaker während der Niederschlagung des Herero-Aufstandes. Statt Geld sollen die Nachkommen der Ermordeten Bildungsangebote und Stipendien erhalten.

Derzeit verhandeln Regierungsvertreter über die Folgen dieses Genozides für die Beziehungen der Länder Namibia und Deutschland: Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz ist zuversichtlich, dass die Gespräche mit Namibia über Verbrechen der deutschen Kolonialzeit zu einem Ergebnis führen werden. Er ist offizieller Unterhändler im Dialog mit Namibia. Reparationen will er jedoch nicht in Aussicht stellen. Stattdessen schlägt Polenz Bildungsangebote und Stipendien für die heute lebenden Nachkommen der Herero vor. Sie sollen als Zeichen des Bedauerns gelten und helfen Wunden zu heilen, berichtete der Deutschlandfunk am Mittwoch.

Unter Historikern gilt die Niederschlagung des Herero-Aufstandes in Namibia schon lange als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. Die deutschen »Kaiserlichen Truppen« hatten 1904 im damaligen Deutsch-Südwestafrika mehr als 85.000 Angehörige der Volksgruppen der Herero und Nama getötet. Die Überlebenden waren in Konzentrationslager gesteckt, Land und Vieh konfisziert worden.

Als sich das Massaker im vergangenen Sommer zum 111. Mal jährte, bezeichnete die Bundesregierung die Ereignisse der Kolonialzeit in Namibia offiziell als Völkermord. So schrieb Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in einem Beitrag für die »Zeit«: »An den heutigen Maßstäben des Völkerrechts gemessen war die Niederschlagung des Herero-Aufstands ein Völkermord.« In besagtem Artikel sprach Lammert von einem »Rassekrieg«. Und weiter: »Nicht nur den Kampfhandlungen, sondern auch Krankheiten und dem gezielten Morden durch Verdursten- und Verhungernlassen fielen Zehntausende Herero und Nama zum Opfer, andere starben in Konzentrationslagern oder bei der Zwangsarbeit.«

Aus diesem Diskurswandel ergaben sich auch praktische Folgen: Polenz wurde im November 2015 zum offiziellen Vertreter der Bundesregierung im Dialog mit Namibia um den Völkermord an den Herero und Nama mit Namibia ernannt. Seitdem ist Polenz beispielsweise gemeinsam mit dem Vertreter der namibischen Regierung, Doktor Zed Ngavirue, durch Namibia gereist, um Stätten des historischen Verbrechens zu besuchen.

Mit der Anerkennung des Genozids hatte die Bundesregierung eine Forderung des Bündnisses »Völkermord verjährt nicht!« anerkannt. In dem Bündnis arbeiten Gruppen wie »AfricAvenir International«, die »Initiative Schwarze Menschen in Deutschland« und »Berlin Postkolonial«. Seit langem forderten die Initiativen eine Anerkennung des Genozids, eine förmliche Entschuldigung, die Aufnahme eines »bedingungslosen Dialoges« sowie die Identifizierung und Rückgabe aller nach Deutschland verschleppten Gebeine von Menschen aus Namibia. Auch Politiker der Grünen, darunter der Bundesvorsitzende Cem Özdemir und die frühere Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, sowie die LINKEN-Politiker Gregor Gysi und der Parteivorsitzende Bernd Riexinger, unterstützen die Ziele der Kampagne.

Die Bündniskampagne »Völkermord verjährt nicht!« stellt sich hinter die Forderung der Opferverbände nach einer ideellen und auch materiellen Entschädigung für das ihren Völkern widerfahrene kolonial-rassistische Unrecht sowie ihre Verluste an Hab und Gut. Wie Deutschland »Wiedergutmachung« leisten soll, ist bei den politischen Akteuren allerdings umstritten. Die Regierung verweist auf intensive bilaterale Beziehungen und auf hohe Zahlungen der Entwicklungshilfe – etwa 800 Millionen Euro seit 1990. Von der Idee individueller Entschädigungszahlungen nehmen viele deutsche Politiker dagegen weiterhin Abstand.

In Namibia wollen sich Herero-Vertreter jedoch nicht mit Wiedergutmachung in Form von »Entwicklungszusammenarbeit« zufriedengeben. Auch sehen sie die Verbände der Herero und Nama nicht ausreichend in die Verhandlungen einbezogen. »Deutschland muss trilateralen Verhandlungen darüber zustimmen. Mit Vertretern der Nama- und Herero-Völker, der namibischen Regierung und der deutschen Regierung. Drittens muss Deutschland sich verpflichten, uns Reparationen zu zahlen«, fordert etwa der Herero Vekuii Rukoro aus Windhoek im Interview mit dem Deutschlandfunk.

Auch Israel Kaunatjike, ein in Deutschland lebender Herero, hat lange für die Anerkennung des Genozids an seinen Leuten gekämpft. Den derzeitigen bevollmächtigten Verhandlungsführer der namibischen Regierung, den ehemaligen Diplomaten Zed Ngavirue, empfindet er als zu lasch.»Er ist auch Herero. Aber er ist im Auftrag von der namibischen Regierung. Er hält sich eigentlich so neutral, aber er vertritt unsere Interessen nicht.«

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