Brecht und Riesenrad

Zum Tod des Schauspielers Stefan Lisewski

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.
In der DDR-Fernsehserie »Spuk unterm Riesenrad« zeigte er seine Gaukel- und Tobelust. Vor allem aber war er jahrzehntelang Schauspieler am Berliner Ensemble. Jetzt ist Stefan Lisewski im Alter von 82 Jahren gestorben.

Kräftige Statur, blonde Haare, eine mit dunkler Klarheit gesättigte Stimme – Stefan Lisewski war das, was man einen Publikumsliebling nennt. In ihm offenbarte sich auf wahrhaft sympathische Weise, dass Kino nicht ohne Identifikation auskommt; des Darstellers komödiantischer Leicht-Sinn besaß Charakter, seine Ernsthaftigkeit vergrub sich nicht ins Unnahbare. Und in den beliebten Adlershofer TV-Geschichten um den »Spuk im Hochhaus« oder den »Spuk unterm Riesenrad« zeigte er eine überschäumende Gaukel- und Toblust, die einen aufgekratzten Gegensatz schuf zu seiner ansonsten wohlgeformten Gefasstheit, die hohe Texte zum Klangerlebnis machte.

Denn vor allem war er jahrzehntelang, von 1957 bis 2000, ein Spieler am Berliner Ensemble. War, schon vom Äußeren her, der ideale Macheath (über 500 Mal), brillierte grotesk-vertrackt in O’Caseys »Purpurstaub« und spielte in Müllers »Zement« nach Gladkow, Regie: Ruth Berghaus, den Revolutionär Gleb Tschumalow, dessen männlich-soldatisches Selbstbewusstsein auf die Emanzipationskraft seiner Frau prallt. Vielleicht eine der entscheidenden Rollen Lisewskis; dieser Gleb war von berührender, mitunter fast tierischer Bewusstlosigkeit; ein von Wirklichkeit betäubter Kraftprotz verstand die Welt nicht mehr, für die er doch an den Kriegsfronten des frühen Sowjetstaates sein Leben in die Waagschale geworfen hatte. Fürs Neue zu kämpfen – es ist einfacher, als es leben zu wollen und zu können.

In vielen Inszenierungen des Brechttheaters: ein Mann im sozial-konkreten Gestus, jederzeit ein Kenntlicher, ein das Gesamtbild Prägender, der bis in kleinste Rollen hinein Präsentant einer anspruchsvollen Spielkultur blieb. Mitarbeiter einer großen BE-Ära mit Welttourneen. In Arbeiten von Marquardt, Zadek, Engel, Schroth, Wilson, Schleef, Tabori. Lisewski, geboren 1933 in Dirschau, dem heute polnischen Tczew, wollte Hütteningenieur werden, arbeitete als Schmelzer im Ernst-Thälmann-Kombinat Magdeburg – er war bei der DEFA ein Novemberrevolutionär im »Lied der Matrosen«; so manche Komödie (»Verwirrung der Liebe«, »Maibowle«) trug dazu bei, in diesem Schauspieler das Bild von männlich zupackender Jugend geradezu festzuzurren.

Es gab einen genialen deutschen Arturo Ui: Ekkehard Schall, ab 1958. Es gibt einen genialen deutschen Arturo Ui: Martin Wuttke, seit 1995. In der legendären Inszenierung von Manfred Wekwerth und Peter Palitzsch gab Lisewski einen Leibwächter, in Heiner Müllers letzter, noch immer im Spielplan glänzender Regie-Arbeit war er – an »seinem« Theater – der Dogsborough, diese tapsig vernunftdemente Hindenburg-Travestie. Nun ist Stefan Lisewski im Alter von 82 Jahren in Berlin gestorben.

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