Musik hinterm Schleier

Im Kino: »No Land’s Song« von Ayat Najafi

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine Frau darf nicht öffentlich singen, jedenfalls nicht allein. Wenn sie schon singt, dann nur in der Gruppe, als Hintergrundgeräusch für den Gesang des Mannes. Das ist die Auskunft, die Sara Najafi von der zuständigen Stelle im iranischen Kulturministerium erhält, als sie die Genehmigung für ein Konzert beantragt. Die weibliche Stimme wollte sie feiern, Solistinnen auf die Bühne stellen, die aus Iran und aus Frankreich kommen, die iranische Lieder singen (und ein paar eigene dazu), auf der Bühne begleitet von einer Gruppe männlicher Musiker.

Geht nicht, sagt der bärtige Kleriker. Da könnte sich ja was regen beim Mann, das über das öffentlichkeitstaugliche Maß hinausgeht. Und so etwas sei natürlich zu vermeiden. Wenn beim Zuhörer in Anhörung weiblicher Stimmentfaltung sinnlicher Genuss ins Spiel käme - Gott behüte! Nun hat Najafi, deren Bruder Ayat für den Dokumentarfilm »No Land’s Song« die Reise der Schwester auf dem steinigen Weg zum öffentlichen Konzert mit der Kamera begleitete, sich ihren Kleriker passgenau ausgesucht. Und sie sucht auch nicht wirklich Aufklärung darüber, warum ein weibliches Solo einem starken Tabu unterliegt im klerikal dominierten Iran. Sondern vielmehr nach einem Empörungsauslöser für den westlichen Zuschauer, dem solche Reden vorsintflutlich scheinen. Weshalb sie auch mit züchtigem schwarzem Vollschleier bei dem Islamgelehrten aufläuft (nur den feuerroten Lippenstift, den hat sie sich nicht nehmen lassen) statt in der Hose mit kurzem Mantel und buntem Kopftuch, in denen der Film sie auf der Straße zeigt.

»No Land’s Song« ist eine deutsch-französische Produktion, Regisseur Ayat Najafi lebt in Berlin. Von hier aus produzierte er bereits seinen Frauenfußballfilm »Football Under Cover«.

Sein neues Werk ist ein melancholischer Essay über das Leben unter dem Schleier. Zugleich ist er das Protokoll eines Sieges - denn das Konzert wird schließlich stattfinden, daraus macht der Film von Anfang an keinen Hehl. Es wird ein Triumph, wenn auch ein kleiner. Vor allem aber ist »No Land’s Song« ein interessanter Blick darauf, was am Ende doch alles geht in einem Land, in dem die Regeln täglich neu definiert werden, in dem Verbote manchmal in Bronze gegossen sind und manchmal navigierbar.

Wenn Najafi die Termine seiner Schwester bei den Behörden nicht mitfilmen darf, macht er eben heimlich Tonaufnahmen. Und wenn das Konzert auch nicht genehmigt werden kann, redet man - vom versteckten Mikrofon nichts ahnend - im Ministerium jedenfalls Klartext. Was ist schon jemals sicher in diesem Land, das kann sich morgen alles ändern, seufzt eine Angestellte. Und eine Männerstimme sagt an anderer Stelle, es komme alles auf die Wahlen an. Es sind die ersten Präsidentschaftswahlen nach den Unruhen von 2009, da will man sich keine ausländischen Beobachter ins Land holen, auch keine Musiker und Sängerinnen. Wenn alles gut geht, ist das Konzert kein Problem. Wenn nicht, dann könne man es getrost für das nächste Jahr vergessen.

Die eingestreute Suche nach den zweckentfremdeten Resten einstiger Vergnügungsstätten, wie es sie vor der islamischen Revolution mal gab (und wo damals auch Frauen singen durften), wirken politisch recht naiv. Nicht jede Bar, in der einst Alkohol ausgeschenkt wurde, ist deshalb gleich ein Kulturgut. Und auf ein paar Großaufnahmen seiner - allerdings wirklich sehr fotogenen - Schwester hätte der Regisseur ebenfalls verzichten dürfen. Sonst aber: sehenswert.

Wer von dirigistischen Regimes nach diesem Film nicht genug hat, kann die Schraube mit »Im Strahl der Sonne« noch ein paar Umdrehungen anziehen. Da geht es mit Vitaly Mansky nach Nordkorea, mit einem Film, der vom russischen Kulturministerium unterstützt wurde - bis man merkte, was der Regisseur bezweckte. Das Mädchen, dessen rituelle Aufnahme in die Jungpioniere Mansky filmte, muss keinen Schleier tragen und bekommt es nicht mit bärtigen Religionsgelehrten zu tun. Aber die Gehirnwäsche ist perfekt. Und auch dies lernt man: Wer in Nordkorea dokumentarisch drehen will, sollte darauf gefasst sein, dass man ihm einen Propagandastoff serviert, der mit der gelebten Realität im Land wenig gemein hat.

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