Freund und Feind

Die AfD profitiert von der Anziehungskraft eines klassenlosen und nationalistischen »Wir gegen Die«

  • David Bebnowski
  • Lesedauer: 8 Min.
In einem Kapitalismus, in dem sich eine Mehrheit von sozialem Absturz bedroht fühlt, neigt auch in der Mitte ein wachsendes Milieu dazu, seine erlebte Erniedrigung in Hass gegen andere zu kanalisieren.

Hilflosigkeit allerorten. Hohe zweistellige Ergebnisse der AfD bei den Landtagswahlen, die Rechtsaußen-Partei wurde in Sachsen-Anhalt sogar zweitstärkste Kraft. Seit Monaten mobilisieren rassistische und reaktionäre Initiativen ungeahnte Massen. Flüchtlingsunterkünfte brennen in deutschen Städten. Wirksame Gegenstrategien sind immer noch keine in Sicht. Was tun also?

Vor der Strategie liegt die Analyse. Um den rechten Mob zu verstehen, muss man ihn beim Wort nehmen. Was bedeutet sein Wahlspruch »Wir sind das Volk«?

David Bebnowski

David Bebnowski ist Diplom-Sozialwissenschaftler und assoziierter Doktorand am Zentrum für Zeitgeschichtliche Forschung Potsdam. Er war von 2011 bis 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Demokratieforschung Göttingen. 2015 erschien von ihm »Die Alternative für Deutschland. Aufstieg und Repräsentanz einer rechten populistischen Partei«.

Auf der Basis eines populistischen »Wir gegen Die« artikuliert sich in diesem Spruch ein doppeldeutiger Wunsch nach Gemeinschaft. Das Wort »Volk« transportiert ein Gefühl der Aufgehobenheit, des Zusammengehörens, verleiht dem Bedürfnis nach Verbindung Ausdruck. Nicht aber ohne zu trennen: Denn ein Volk ist immer nur eines unter vielen. Es ist das für Gemeinschaft stehende Wörtchen »wir«, das dies zusätzlich unterstreicht. Denn ein »Wir« kann es ohne sein logisches Gegenteil - die Anderen - nicht geben.

Im Feld der Politik erinnert dieses rechte »Wir gegen Die« an den Staatsrechtler Carl Schmitt, der juristisch Pate bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten stand. Für ihn basierte das Politische schlechthin auf der Unterscheidung von Freund und Feind. In letzter Konsequenz bedeutete dies, bereit zur physischen Vernichtung des Gegners zu sein. Der Feind gegen den sich Schmitt richtete, war der liberaldemokratische Parlamentarismus der Weimarer Republik. Schließlich war das Parlament eine Instanz, die helfen sollte, derartig scharfe Frontstellungen durch demokratische Repräsentation in der Debatte zu domestizieren. Die unversöhnlichen Klassengegensätze der deutschen Gesellschaft sollten abgemildert, ja, vermittelt werden. Von alledem hielt Schmitt nichts. Er plädierte für die harte Entscheidung einer Führungsgestalt, die den Gemeinwillen auf sich vereint. Das Parlament war für ihn nicht mehr als eine »Schwatzbude«.

Auch heute scheint es, als verweigerten sich immer mehr Bevölkerungssegmente den Spielregeln demokratischer Auseinandersetzungen. Es hat einen Sinn, dass Pegida eine Bewegung auf den Straßen und Plätzen deutscher Großstädte, aber eben keine Partei ist. Auch die AfD übt sich in allen Repräsentantenhäusern, in denen sie sitzt, in Zurückhaltung. Man sollte es ernst nehmen, wenn die führenden Köpfe des rechten Flügels der Partei ebenfalls immer deutlicher die Straße als ihr Agitationsfeld entdecken. Der Thüringer Fraktionschef und Rechtsaußen Björn Höcke gibt freimütig zu, sich nicht im parlamentarischen Betrieb verbrauchen zu wollen. Stattdessen veranstaltet er lieber Demonstrationen und bellt, »Erfurt ist schön deutsch - und schön deutsch soll Erfurt bleiben«. Ohnehin ein Profi der rechten APO ist Beatrix von Storch. Als Vorsitzende des Kampagnennetzwerks »Zivile Koalition« initiierte die nunmehrige Parteivize bereits vor der Gründung der AfD unzählige Aufmärsche gegen mühsam errungene Bürgerrechte.

Vor allem die wirklichkeitsvermeidende Abschottung der Rechten gegenüber Andersdenkenden muss jedoch nachdenklich stimmen. Denn sie zeigt, mit welcher Aggressivität, der Eindruck, politische Gegner könnten überhaupt legitime Ansprüche erheben, abgewehrt wird. Feinde werden beschworen, auch wenn dafür Fakten gefälscht oder die imaginierten Gegner als »Lügenpresse« oder »Volksverräter« verleugnet werden müssen.

Die Entwürdigung und Herabsetzung politischer Gegner ist Programm. Nur so lassen sich Feindschaften konstruieren. Man sollte zur Beschreibung dieser Affekte nicht von Ressentiment sondern von Hass sprechen. Dieser, so lehrt der Soziologe Heinz Bude, scheint gesellschaftsfähig geworden zu sein.

So weit so schlecht. Warum aber hat das Schema »Wir gegen Die« eine solche Konjunktur? Tatsächlich dürfte hierin deutlich mehr als ein kurzes Buckeln des Zeitgeists liegen. Es beschreibt die politische Gegenüberstellung auf Höhe der Zeit und dürfte die politische Auseinandersetzung noch lange bestimmen.

Auf der Suche nach den Gründen dieser Konjunktur sollte man auf Margaret Thatchers berüchtigten Spruch »There is no such thing as society« - so etwas wie Gesellschaft gibt es nicht - zurückkommen. Diesem Leitbild folgend, entwickelten sich Gemeinwesen in den Jahren neoliberaler Umstrukturierung immer weiter auseinander. Die zeitgenössische »Gesellschaft der Angst« (Heinz Bude) jedenfalls zeichnet sich durch einen fraktionierten Demos aus. Seine Einzelteile weisen immer weniger Bezug zueinander auf. Der gesellschaftliche Integrationsmodus hat sich vom »Aufstiegsversprechen zur Exklusionsdrohung« verschoben, so Bude. In anderen Worten: Wo man früher der Hoffnung sein konnte, die gesellschaftliche Stufenleiter von unten nach oben zu erklimmen, droht heute vor allem eines: Absturz, Ausschluss. Risiken werden dabei »negativ individualisiert«, wie es die Soziologie nennt. Selbst Niklas Luhmann, der die funktionale Differenzierung der Gesellschaft verteidigte, sah seine Systemtheorie durch das Phänomen der Exklusion vom Einsturz bedroht. In einer exkludierenden, also ausschließenden Gesellschaft regiert die Drohung, nicht das Versprechen. Genügst du den Anforderungen nicht, fliegst du raus.

Heinz Bude hat gezeigt, dass man hierbei nicht erst an die äußersten Stufen der Prekarisierung denken muss. Verbitterung kann leicht auch entwickeln, wer nie im erlernten oder studierten Job oder unter der eigenen Qualifikation arbeitet. Wem der Strukturwandel des Arbeitsmarktes die Pistole auf die Brust oder eine fachfremde - möglicherweise auch noch jüngere - Führungskraft vor die Nase setzt. Es entsteht das Gefühl, eigene Potenziale nie entfalten zu können. Zumindest wird man nicht so gebraucht, wie selbst erdacht - die Außenwelt pfeift auf das Selbstbild. Auch in der Mitte der Gesellschaft kristallisiert sich so ein Milieu sprichwörtlich Erniedrigter heraus, denen die Umstände böse mitgespielt haben. Reaktionen auf diese Herabsetzung können sein: Apathie oder Hass.

So könnte sich das Bündnis erklären lassen, das in den verschiedenen regionalen Ablegern der rechten Pegida-Bewegung und der AfD zusammen kommt: eine Allianz aus Teilen der im Berufsleben stehenden, eher männlichen, verbitterten Mitte und dem offenen Hass des rechten, rassistischen Mobs.

Für Demokraten geht es darum, die richtigen Lehren aus dieser Konstellation zu ziehen. Dabei ist es wichtig zu erkennen, dass eine Gesellschaft in Fragmenten auch die Fortschrittlichen auf einer Scholle einschließt. Ganze Welten liegen zwischen den Milieus. Klug bringt dies das Theaterstück FEAR des Berliner Regisseurs Falk Richter auf den Punkt. In drastischen Worten schildert ein Darsteller - Marke Berlin-Mitte, Normcore mit modischem Undercut - den rassistischen Mob mit schriller Stimme. »Seltsam gelbe, verfettete, stiernackige Männer Mitte Vierzig. Die wissen, dass sie von niemandem mehr gebraucht werden.«

Diese sprachliche Brutalität ist selbstentlarvend. Denn natürlich errichten auch die als chillige Urban-Gardener präsentierten Darsteller, soziale Mauern, die eine Verbindung mit ihren politischen Gegnern unmöglich machen. All das hat einen realen Kern: Auch ohne Perspektive empfindet das akademisch gebildete großstädtische Prekariat im globalen Wettbewerb eine andere Angst als das Dienstleistungsproletariat. Die Aussicht, vielleicht nur im Ausland einen Job zu finden, ist aufgrund guter englischer Sprachkenntnisse keine so unmittelbare Bedrohung. FEAR fängt diese Weltläufigkeit mit häufigen Sprachwechseln ein. Am Ende eines bezeichnenderweise englischen Monologs wird auf Deutsch festgehalten »Wir sind die Anderen«. An dieser Stelle starrt man mitten in den Abgrund. Tatsächlich gibt es sprichwörtlich nichts, das beide Milieus miteinander zu verbinden scheint. Zu unterschiedlich sind die Lebensentwürfe, zu verschieden die Vorstellung eines gelingenden Lebens. Selbst die gemeinsame Sprache trennt - gerade weil man sein Gegenüber versteht.

Es scheint hier gegenwärtig keine Vermittlung der Interessen mehr zu geben. Dies ist die schwer erträgliche Situation, in der sich nicht nur die deutsche Gesellschaft im Jahr 2016 befindet. Die Konsequenz einer solchen gesellschaftlichen Spaltung ist das Denken in den Kategorien Freund gegen Feind.

Nur: Im liberaldemokratischen Diskurs ist für sie kein Platz. Darin dürfte auch der Grund für die Hilflosigkeit im Umgang mit der neuesten Rechten liegen. Eine um Harmonisierung der Interessen bemühte Politik kann nicht in den Griff bekommen, was ihre Grundbedingungen ablehnt. Der Hass des Freund-Feind-Denkens passt schlicht nicht in ein Modell, das davon ausgeht, dass sich noch fast jede Äußerung »irgendwie« demokratisch repräsentieren und befrieden ließe.

Überhaupt ist es kaum vorstellbar, dass diejenigen, die die Repräsentanten nicht als Teil ihres »Volks« anerkennen, die über die Jahre jegliches Vertrauen in die Politik verloren haben, so zurückgewonnen werden können. Mit der üblichen politischen Rhetorik ist der Gegensatz sicher nicht zu kitten. Ein Anbiederungskurs an die AfD, auch das zeigen die jüngsten Wahlergebnisse, führt sehenden Auges in den Abgrund. Denn die alles in allem zusammenhängende Gesellschaft der Achtziger und Neunziger Jahre, in der sich Rechtspopulisten mit rechter Rhetorik vom Parlament fern halten ließen, ist einer von Angst dominierten Insellandschaft gewichen.

Natürlich steht an dieser Stelle die Frage, wie die Frontstellung überwunden werden könnte. Die Antwort setzt großen politischen Willen und eine neue politische Vision des gesellschaftlichen Miteinanders voraus. Aus der nüchternen Anerkennung sozialer Gegebenheiten heraus müssten Sozialprogramme aufgelegt, die Schuldenbremse gelöst, Bildungswege ausgebaut und Steuern progressiver erhoben werden.

Dabei geht es weniger darum, die Engstirnigen zu erleuchten, als ihrem Ressentiment die Spitze abzubrechen und Möglichkeiten zu schaffen, ihre Affekte überhaupt kanalisieren zu können. Und ebenso wäre die Wirtschaft in die Pflicht zu nehmen, sich ihrer das Soziale strukturierenden Funktion verantwortungsvoll anzunehmen. Unter Bedingungen kapitalistischer Konkurrenz wird sie es kaum von selbst tun. So müssen Mindestlöhne, Konjunkturprogramme und Wirtschaftsförderung in strukturschwachen Regionen erfolgen, um die destruktiven Tendenzen der Exklusion einzudämmen.

Erst dies würde die Voraussetzungen schaffen, den Parlamentarismus zu stärken. Vor allem müsste hierfür jedoch eine Vorstellung entwickelt werden, was ein tolerantes, weltoffenes, verbindendes und soziales Deutschland eigentlich ausmachen soll. Es ginge, wenn man so will, um die Entwicklung einer linken Leitvorstellung als gesellschaftlichem Kitt. Das ist nicht eben wenig.

Zusammen könnte all dies den Mittelpunkt eines möglichen rot-rot-grünen Projekts bilden. Aber ganz gleich welcher Couleur, Demokraten müssen die Arbeit an inklusiven Leitvorstellungen intensivieren, bevor die rechte Eskalationsspirale sich in noch höhere Lagen dreht. Zum Beweis der Dringlichkeit zurück zum Ausgangspunkt dieses Textes: Wir sind das Volk. Nur ein kurzer Weg ist es von hier zum Konzept der Volksgemeinschaft, dem zentralen Gesellschaftsentwurf des NS-Regimes.

Vor kurzem äußerte ein AfD-Politiker, dieser Begriff sei »in keiner Weise negativ zu sehen«. Sein Name: André Poggenburg - bei den Landtagswahlen holte er als Landesvorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt 24 Prozent der Stimmen.

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