Geheimdienstler sind keine Jäger

Bundestagsabgeordneter Müller zum NSU-Untersuchungsausschuss und zur Abschaffung des Verfassungsschutzes

  • Lesedauer: 4 Min.

Die Idee eines NSU-Untersuchungsausschusses auch in Brandenburg habe ich vor Jahren zuerst aus dem Munde der Bundestagsabgeordneten Petra Pau (LINKE) gehört, also von einer Berlinerin. Hat das Land Brandenburg und hat die brandenburgische LINKE dieses Thema verschlafen?

Die Debatte hat es seit 2012 bei uns ja auch gegeben. Schon die Auseinandersetzungen um Brandenburger Zuarbeiten für den ersten NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag oder für den Prozess in München waren kein Ruhmesblatt. Im Rahmen der Debatte über das Landtagswahlprogramm 2014 und im Zusammenhang mit den neuerlichen Koalitionsverhandlungen mit der SPD hat es in der märkischen Linkspartei eine Vertiefung der Debatte darüber gegeben, wie der NSU-Komplex in Brandenburg am besten aufgearbeitet werden kann. In den Koalitionsvertrag mit der SPD war ein Untersuchungsausschuss nicht hineinzubringen. Ende 2015 gab es aber einen Landesparteitagsbeschluss, der einen Untersuchungsausschuss forderte. In diesem Moment war die innerparteiliche Diskussion darüber entschieden. Wir wollen den NSU-Ausschuss als ein wichtiges Mittel der Aufklärung.

Norbert Müller

Der Bundestagsabgeordnete Norbert Müller (LINKE) ist einer von vier stellvertretenden Landesparteivorsitzenden in Brandenburg. Früher war er auch kurze Zeit Landtagsabgeordneter und hat damals das Innenministerium mit parlamentarischen Anfragen zum Verfassungsschutz eingedeckt. Über den in Brandenburg vorgesehenen NSU-Untersuchungsausschuss sprach mit ihm für »nd« Andreas Fritsche.

Foto: dpa/Johanna Bergmann

Der Landtagsabgeordnete Stefan Ludwig (LINKE) hat vergangene Woche noch einmal seine Sichtweise mitgeteilt, es gäbe über den V-Mann »Piatto« und eventuelle Verfehlungen des Brandenburger Verfassungsschutzes keine neuen Tatsachen. Wie sehen Sie das?

Der Verfassungsschutz hat 1998 das NSU-Trio gedeckt und seine frühzeitige Verhaftung hintertrieben, vermutlich um seine Quelle zu schützen. Diese Dinge sind tatsächlich längst öffentlich. Trotzdem gibt es nach meiner Meinung ausreichend Stoff für einen Untersuchungsausschuss. »Piatto« ist schließlich für seine Beteiligung an einem versuchten Mord im Jahr 1992 verurteilt worden. Aber erst zwei Jahre nach der Tat kam er 1994 in Untersuchungshaft und meldete sich als erstes beim Verfassungsschutz. Der ist bei ihm aufgetaucht und soll ihn dann als Informanten angeworben haben. Eine obskure Geschichte, deren Details im neulich erschienenen Buch »Generation Hoyerswerda« nachzulesen sind. Es stellt sich die Frage, ob »Piatto« nicht schon früher mit einem Geheimdienst kooperierte. Das lässt seine Straftat und den Umgang damit in einem ganz anderen Licht erscheinen. Auch gehört die gesamte V-Mann-Tätigkeit dieses Neonazis aufgeklärt. Darüber hinaus ist aufzuklären, wie es zur Herausbildung rechtsterroristischer Strukturen im Brandenburg der 1990er Jahre kommen konnte und was man daraus lernen muss.

Warum kommt es gerade jetzt zu einem Untersuchungsausschuss?

Ich nehme an, weil der mediale Druck nun so groß geworden ist. Das hat auch mit den peinlichen Auftritten des ehemaligen V-Mann-Führers von »Piatto« vor dem Münchner Oberlandesgericht zu tun: Kaugummi kauend und mit Perücke ist er dort aufgetaucht und hat Aussagen verlesen, die er angeblich in seinem Postfach gefunden hat. Das passt vielleicht in einen Agenten-Verarsche-Film, aber doch nicht in die Wirklichkeit. Wichtig ist, dass jetzt der Untersuchungsausschuss kommt.

Warum hat sich die SPD so lange geziert?

Die SPD hat in der Sache ein Problem. Sie stellte bis 1999 den Innenminister. Gravierender wirkt aber die Gefährdung des Mythos, während andere ostdeutsche Bundesländer die Welle rechter Gewalt in den 1990er Jahren ignorierten, habe Brandenburg reagiert, das Handlungskonzept »Tolerantes Brandenburg« und die Mobilen Beratungsteams gegen Rechts geschaffen und die rechte Gefahr damit langfristig eingedämmt. Das stimmt im Prinzip auch. Organisationen wie der Verein Opferperspektive erkennen das an. Es gibt aber auch die andere Seite der Medaille, die Geschichte des Verfassungsschutzes. Der Geheimdienst hatte Topspitzel in der rechten Szene platziert und kannte sich deswegen ausgezeichnet aus. Er hat seine Informationen aber nicht in der Weise verwendet, die für die Strafverfolgung notwendig gewesen wäre. Heute wissen wir, dass die Polizei in Sachsen und Thüringen das NSU-Trio 1998 hätte festnehmen können mit den Brandenburger Informationen. Dazu gibt es das schöne Bonmot: Polizisten sind Jäger, Geheimdienstler sind Sammler. Der Verfassungsschutz häuft Erkenntnisse an, ist aber darauf bedacht, seine Quellen zu schützen.

Wie agiert die SPD heute?

Ich glaube, es gibt ein Umdenken und ein echtes Bedürfnis nach Aufklärung beim aktuellen Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD). Die SPD will sich nun aktiv an der Einsetzung des Untersuchungsausschuss beteiligen. Das ist ein Fortschritt.

Die oppositionelle CDU versuchte im Rahmen des Nachtragshaushalts 2016 mehr Stellen für den Verfassungsschutz durchzusetzen. Wie muss man das im Lichte des NSU-Skandals bewerten?

Da kann ich nur sagen: Besser keine zusätzlichen Stellen. Im Gegenteil: Die Ressourcen des Geheimdienstes sollten beschnitten werden. Das Ziel, den Verfassungsschutz abzuschaffen, ist im Moment unrealistisch. Dafür gibt es leider keine politische Mehrheit. Aber ich finde nach wie vor - die NSU-Affäre bestätigt mich darin -, dass der Verfassungsschutz verzichtbar ist. In Thüringen soll nach dem Verzicht auf V-Leute mit Landesmitteln ein Rechercheinstitut aufgebaut werden. Die Beobachtung der Naziszene ist ja weiter sehr wichtig. Aber das kann man auch mit zivilen Instrumenten und ohne V-Leute. Etwas derartiges wäre, angelehnt an das erfahrene Moses-Mendelssohn-Zentrum der Universität Potsdam, auch für Brandenburg eine sehr gute Idee. Die LINKE hat das angeschoben, und es gibt erste Gespräche.

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