nd-aktuell.de / 28.03.2016 / Kommentare

Die Energiefrage nicht gestellt

Meterhohe Zäune, Schiffscontainer als Behausung, Zugang über bewachte Drehkreuze - und der Widerspruch zwischen den Hilfsgütern von auswärts und den Bedürfnissen vor Ort

Refugee Support Calais

Wir packten die Technik, welche wir für die kleine selbstorganisierte Bibliothek und Schule Jungle Books mitgebracht haben, und fuhren erstmals gemeinsam in das Camp von Calais, welches von BewohnerInnen selbst »Jungle« getauft worden war. Während der morgendlichen Aufgabenverteilung hatten wir uns bereit erklärt, bei der Entmüllung einer Fläche im legalisierten Nordteil des Camps zu helfen, auf welcher in den kommenden Tagen ein öffentlicher Kochplatz mit Lagerfeuerstelle und Community Space entstehen soll. Für uns klingt das nach einem sinnvollen Vorhaben, nicht zuletzt, weil bei der Zerstörung des Südens etliche autonome Restaurants und Gemeinschaftseinrichtungen dem Erdboden gleich gemacht wurden.

In den Augen der französischen Regierung soll ein Refugee-Camp offenbar keine Initiativen der Selbstorganisation ermöglichen und besser einem Gefängnis ähneln, wie das staatliche Containerlager vermuten lässt, welches den bei der Zerstörung in die Obdachlosigkeit gedrängten BewohnerInnen als Alternative offeriert wurde. Umgeben von meterhohen Zäunen fungieren hier ehemalige Schiffscontainer als Behausung. Der Zugang erfolgt über bewachte Drehkreuze, an denen Fingerabdrücke abgegeben werden müssen. Der Einzug in das Regierungslager ist übrigens generell an eine Registrierung als Asylsuchender in Frankreich gebunden.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Entscheidung einer Familie, die wir beim Verteilen von Klopapier getroffen haben, nachvollziehbar, den Containern den Rücken zu kehren und wieder einen der Wohnwagen im Familienteil des Jungle zu beziehen. Zugleich sind die humanitären Zustände hier nach wie vor katastrophal. Zwar ist der halbe Meter Schlamm nach gut zwei Wochen ohne größeren Regen eingetrocknet, doch nach wie vor liegt überall Müll, Lumpen, Baumaterial. Pfützen und Sümpfe modern vor sich hin. Ratten. So sieht es also aus, wenn staatliche Basisleistungen wie Müllabfuhr über Jahre hinweg fehlen.

Wir bereinigten also die Oberfläche einer Mülldeponie. Jede Dachpappe, die wir aus der Erde rissen, gab den Blick auf eine darunter liegende Schicht an Plastiktüten, Gummischläuchen und Styropor frei. Doch für den Aufbau der »No Problem – Kitchen« (in Anlehnung an eine geflügelte Redensart im Camp) ist das irrelevant, denn im Jungle wird nichts für die Ewigkeit gebaut. Auch die selbstorganisierten Strukturen dienen nur der Überbrückung von Not und Elend. Die wenigsten BewohnerInnen verschreiben sich längerfristigen Aufgaben.

Einer von ihnen ist Sharif*. Er wohnt seit Monaten im Camp und leitet nun Jungle Books. Die Bibliothek befindet sich direkt zwischen Kirche und Schule, mitten in einem Feld aus Asche und Müll. Es sind die einzigen Hütten, die hier noch stehen. Sharif sagt, irgendwann werden auch sie umziehen müssen, aber es bleibt Zeit zum Organisieren einer Alternative. Wir laden gemeinsam mit noch einigen anderen Bewohnern die Technik aus, trinken einen Tee und besprechen das weitere Vorgehen.

Zwar hatten wir vorher im Mailkontakt mit britischen SupporterInnen bereits abgesprochen, dass es sinnvoll ist, Computer mitzubringen. Heute mussten wir aber feststellen, dass unsere vier Tower PCs und Monitore mit einem Generator, der lediglich 3,6 Kilowatt liefert und dem es bereits jetzt ständig an Benzin fehlt, kaum zu betreiben sind. Die Drucker, Scanner und Kopierer jedoch lassen wir da, denn sie wurden als »very useful« befunden. Nun sitzen wir wieder auf den PCs, weil wir die Energiefrage nicht bedacht hatten.

Die Situation ist irgendwie auch symptomatisch für das Verhältnis zwischen den Hilfsgütern von auswärts und den Bedürfnissen und Ansprüchen vor Ort: Oft will das eine nicht recht zu dem anderen passen, wie wir auch immer wieder bei unserer Arbeit im Spendenlager festgestellt haben. So mussten teilweise Transporter halbvoll wieder umkehren, weil bestimmte Sachen nicht mehr angenommen werden konnten. Wir werden uns morgen aber erneut mit den Leuten in der Bibliothek treffen, um gemeinsam zu schauen, wie wir das Projekt eines öffentlichen Medienzentrums dennoch supporten können. Derweil kaufen wir schonmal Router, W-LAN-Simkarten und Toner, um die bestehende Technik aufzurüsten und zum Laufen zu bringen und auch für die Rechner suchen wir schon nach einem alternativen Einsatzort.

*Name geändert