Kiewer Personalschach als Hängepartie

Streit um Ministerposten und Wahlprozedur bei den Verhandlungen über neue ukrainische Regierung

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 2 Min.
Premier Arseni Jazenjuk sollte gehen, Wolodimir Groisman seine Nachfolge antreten. Doch bis Dienstagabend war die Schachpartie um die ukrainische Regierung nicht entschieden.

Ganz auf seine provokante Art nutzte der Chef der Radikalen Partei, Oleh Ljaschko, den Dienstag in der ukrainischen Werchowna Rada. Während in den Hinterzimmern der Koalition um Präsident Petro Poroschenko und Noch-Premier Arseni Jazenjuk gestritten wurde, sammelte der Rechtspopulist Stimmen für eine Amtsenthebung des Präsidenten. In kurzer Zeit hatte er 40 davon beisammen, und die präsentierte er gern - wenn auch ohne gesetzliche Grundlage.

Kein Problem gab es bei der völligen Entfristung einer offiziell Moratorium genannten Verweigerung der Rückzahlung russischer Kredite. Dafür stimmten 246 Abgeordnete. Bisher war die Zahlung von drei Milliarden US-Dollar, die 2015 fällig waren, nur bis 1. Juli 2017 ausgesetzt. Den von Kiew geforderten Schuldenerlass hatte Moskau abgelehnt.

Als Hauptereignisse standen offiziell jedoch der Rücktritt des alten Premiers und die Bestätigung von Wolodimir Groisman, bisher Parlamentspräsident, und seines Kabinetts auf dem politischen Programm - ebenso wie die Bildung eines neues Parlamentspräsidiums. Doch die Zeit verstrich folgenlos. Der Abgeordnete Sergej Lewotschkin vom Oppositionsblock sprach von einem »Schachspiel der Ernennungen«, positive Veränderungen seien von der neuen alten Koalition ohnehin nicht zu erwarten.

Deren Formierung geriet zunehmend zur Hängepartie. »Wir finden im Moment keine gemeinsame Sprache mit dem Kandidaten«, klagte am Abend ein Sprecher der Poroschenko-Fraktion. Deren Fraktionschef, Juri Luzenko, drohte bei einem Scheitern der Gespräche mit Neuwahlen. Groisman selbst hatte Montagnachmittag noch verkündet, dass er das Amt annehmen wolle und kurz nach Mitternacht bestätigt, dass die Mannschaft stehe. Dann ging der Streit um Personal und Abstimmungsprozeduren weiter. Die auf zwei Prozentpunkte Zustimmung gestürzte Volksfront des scheidenden Ministerpräsidenten wollte eine Abstimmung im Paket durchsetzen: Abwahl, Neuwahl und Installierung des Kabinetts mit mehreren eigenen Ministern.

Die notwendige Stärke von 226 Stimmen hatte die neue Koalition gegen Mittag beisammen. Um die Mehrheit zusammenzubringen, verstärkte sich die Präsidentenfraktion Blok Petro Poroschenko mit vier Abgeordneten und bediente sich dazu bei mehreren Parteien. So wurde auch ein früherer Abgeordneter der Rechtsaußenpartei Swoboda geholt.

Die Fraktion Oppositionsblock erklärte sich laut örtlichen Medien bereit, Premier Jazenjuk das Misstrauen auszusprechen. An der Wahl der neuen Regierung werde sie sich jedoch nicht beteiligen.

Die Rücktrittserklärung Arseni Jazenjuks wurde am 10. April unterschrieben. Eine Kopie des handschriftlichen Papiers kam mit einem Satz aus: »In Übereinstimmung mit Artikel 115 der Verfassung der Ukraine erkläre ich mit dem Ziel der Überwindung der politischen Krise und der Wiederaufnahme der Tätigkeit der Koalition meinen Rücktritt vom Amt des Premierministers der Ukraine.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal