Opportunismus oder Schnellschüsse?

Anmerkungen zu Margot Honeckers Tod

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 3 Min.
Von der »lila Hexe« ist in den Nachrufen auf Margot Honecker die Rede, von einer »bösen und verstockten Frau« und von der »starrsinnigen Witwe«. Doch mit solchen Zuschreibungen wird ein gerechtes Urteil nicht zu treffen sein.

Da hatte die Boulevardpresse am Wochenende aber ein richtiges Fest. Beobachtungen auf dem Friedhof in Santiago de Chile - inklusive des Durchzählens der Trauergäste, der Suche nach den Tränen auf den Gesichtern, den detaillierten Sargbeschreibungen. Der Tod der langjährigen DDR-Volksbildungsministerin Margot Honecker am Freitag und die samstägliche Trauerfeier im fernen Chile forderten die Kreativität der journalistischen Beobachter jedenfalls nach 26 Jahren in Sachen DDR-»Aufarbeitung« erneut so richtig heraus. Dass die meisten derer, die nach dem Tod der 89-Jährigen schnell von ihren Redaktionen in die Spur geschickt worden waren, sich mühsam den Lebenslauf erarbeiten mussten - Arbeiterkind aus Halle, seit 1945 Mitglied der KPD, ab 1948 Vorsitzende der Pionierorganisation »Ernst Thälmann«, Ministerin von 1963 bis zur Wende 1989, Odyssee zwischen einer Pfarrei in Lobetal, einem kurzen Exil in Moskau und der Endstation Chile - , tat den zu Papier gebrachten Gewissheiten über ein ganz und gar falsches Leben keinen Abbruch.

Von der »lila Hexe« ist da die Rede, von einer »bösen und verstockten Frau«, von der »starrsinnigen Witwe« des einstigen Partei- und Staatschefs Erich Honecker. Es versteht sich von selbst, dass sich in die Liste der besonders vernichtenden »Nachrufe« durchaus auch Zeitzeugen reihten - die allerdings ihr Wissen um den »silbernen Browning« in der Handtasche der DDR-Spitzenfrau, das Einkaufsgebaren im »Wandlitzer Konsumparadies« und diverse Fremdgehgerüchte bis in den Herbst 1989 tief in ihrem Innern verborgen gehalten hatten.

Aber ob Opportunismus oder Schnellschüsse - ein gerechtes Urteil über jene Frau, die das DDR-Bildungssystem mit all seinen international anerkannten Leistungen wie seinen herben Fehlleistungen über mehr als 25 Jahre dominierte, wird so nicht zu treffen sein. Was wann und warum auch mit Margot Honecker passiert ist, dass aus dem Aufbruch nach dem Zweiten Weltkrieg, Hoffnungen auf eine gerechtere Gesellschaft, Bildungschancen auch für einfache Leute jene ideologischen Grabenkämpfe, Gängeleien und Zwangsmaßnahmen entstanden, die viele DDR-Bürger Ende der 80er Jahre nicht mehr dulden wollten, wird die Historiker noch Jahrzehnte beschäftigen. Und manchen von uns, der sich in jenen wilden Wendezeiten allen Widrigkeiten zum Trotz lieber eine bessere DDR als den real existierenden Kapitalismus erträumte.

Man kann Margot Honecker nicht verübeln, dass sie einem Land, in dem ihr zuletzt ein Dach über dem Kopf verwehrt worden war, für immer den Rücken kehrte. Dass sie sich aber - wie fast alle, die Verantwortung für den misslungenen Versuch der kleinen deutschen Republik mit dem großen Anspruch hatten - 25 Jahre lang bis auf ein paar Beharrungsfloskeln und Frust jeglicher Form von Spurensuche nach dem Scheitern verweigert hat, muss man ihr denn doch zum Vorwurf machen.

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