Toll oder Tollheit? Bis zu einer Million Euro steuerfrei

Matthias Holland-Letz entlarvt scheinheilige Stifter und höchst eigennützige »gemeinnützige« Stiftungen

  • Gerhard Klas
  • Lesedauer: 4 Min.

In den vergangenen Jahren sind in Deutschland gemeinnützige Stiftungen wie Pilze aus dem Boden geschossen: 1999 waren es noch 8000, heute sind es knapp 21 000. Wie sie arbeiten und wie sie gesellschaftspolitische Entwicklungen beeinflussen untersuchte der Journalist Matthias Holland-Letz.

Stiftungen haben in Deutschland eine lange Tradition: Es gibt die parteinahen Stiftungen. Noch länger zurück reichen die zahlreichen kirchlichen Stiftungen, aus denen unter anderem Akademien, Waisen-, Kranken- und Armenhäuser hervorgegangen sind. Aber sie sind nicht Gegenstand der Untersuchung von Holland-Letz, der seit zehn Jahren zum Thema recherchiert und publiziert. In seinem Buch beschäftigt er sich mit Unternehmens- und Konzernstiftungen sowie den reichen Privatiers, die einen großen Teil der Neugründungen der vergangenen Jahre ausmachten.

Der Boom ist vor allem auf die wachsende Zahl üppiger Erbschaften und auf die enormen Steuererleichterungen zurückzuführen, die im Jahr 2000 unter der rot-grünen Bundesregierung in die Wege geleitet wurden. Mittlerweile können Stifter bis zu eine Million Euro bei der Einkommenssteuer als »Sonderausgaben« geltend machen. Noch lukrativer allerdings ist für sogenannte gemeinnützige Stiftungen, dass für sie sämtliche Gewinne aus Kapitalanlagen steuerfrei sind. Dazu gehören Mieteinnahmen, Aktienpakete und Unternehmensbeteiligungen. Viele Stiftungen - etwa die Bertelsmann-Stiftung, die 75 Prozent der Aktien des gleichnamigen Konzerns ihr eigen nennt - geben deutlich weniger über ihre Stiftung aus, als sie an Steuern eingespart haben. Auch die Robert-Bosch-Stiftung - ebenso ein Schwergewicht in der Branche - besitzt 92 Prozent des Weltkonzerns.

Das deutsche Stiftungsrecht eröffnet noch weitere Privilegien. Stifter und ihre Familien dürfen bis zu einem Drittel des Stiftungseinkommens privat nutzen. Zudem ist der Anteil, den sie jährlich an Projekte ausschütten, die dem Stiftungszweck entsprechen, nicht gesetzlich festgelegt. Er soll nur, so das Gesetz, »angemessen« sein. Was angemessen ist, bestimmt der zuständige Finanzbeamte. Im Fall von Robert Bosch heißt das: Bei zwei Milliarden Euro Nettogewinn für die Stiftung im Jahr 2014 hat sie weniger als fünf Prozent ausgeschüttet: 84 Millionen.

Fast alle Stiftungen - auch die eben genannten - sind als gemeinnützig anerkannt. Dabei fördern sie durchaus Projekte, die ihnen direkt oder indirekt Marktvorteile verschaffen oder gesellschaftspolitische Entscheidungen im Sinne des Unternehmens oder einer allgemeinen, neoliberalen Politikagenda vorantreiben. Ein wichtiger Akteur ist dabei der »Stifterverband der deutschen Wissenschaft«, zu dem 3000 Unternehmen, Unternehmensverbände, Stiftungen & Privatpersonen gehören - aber keine Gewerkschaften. Er setzt auf die »Deregulierung« des gesamten Hochschulsektors, »zunehmenden Wettbewerb« und noch mehr »Kooperation« der Hochschulen mit der »Wirtschaft«. Die »Stiftung Familienunternehmen« wiederum - eine Art Dachstiftung mit Sitz in Berlin, macht mobil gegen Mindestlohn und Erbschaftssteuer. Andere gemeinnützige Stiftungen - etwa Bertelsmann in Gütersloh - agitieren offen für TTIP, das umstrittene Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA.

Nicht nur für den Bundesverband Deutscher Stiftungen, der mehr als 4000 Stiftungen vertritt, sind dabei die USA Vorbild. Philantrophie statt staatlicher Umverteilung, lautet das Motto. Statt Rechtsanspruch bestimmt dann der vom Stifter festgelegte Stiftungszweck und das in der Regel handverlesene Stiftungskuratorium, wer finanzielle Unterstützung erhält - und wer nicht. Ebenso wie der US-Administration gehen auch dem deutschen Fiskus schon heute durch die Steuervergünstigungen für das gemeinnützige Stiftungswesen wichtige Einnahmen verloren: In Deutschland fehlen mindestens 450 Millionen Euro jährlich in der Staatskasse.

Erstaunlich ist, dass sich Holland-Letz angesichts der erschütternden Fakten mit Bewertungen zurückhält, obwohl sich Begriffe wie »legale Geldwäsche« und »Entdemokratisierung der Gesellschaft« geradezu aufdrängen. Stattdessen hat er die Karikaturistin Lyonn Redd damit beauftragt, die Zahlen, Fakten und Geschichten mit bissigen Zeichnungen zu kommentieren. Die Lektüre lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Es wird höchste Zeit, die Gemeinnützigkeit der Stiftungen auf den Prüfstand zu stellen. Matthias Holland-Letz hat mit seinem gut recherchierten Buch einen Anfang gemacht.

Matthias Holland-Letz: Scheinheilige Stifter. Wie Reiche und Unternehmen durch gemeinnützige Stiftungen noch mächtiger werden. Backstein-Verlag. 170 S., br., 12,90 €.

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