Rasen in der Innenstadt

In Berlin fuhren die Formel-E-Rennwagen mit bis zu 225 km/h durch die Straßen

  • Nicolas Stange
  • Lesedauer: 4 Min.
Am Samstag war zum zweiten Mal die Formel E-Rennen in Berlin zu Gast. Der Innenstadtkurs für die Serie der Elektroautos lockte vor allem die Fans des klassischen Motorsports an die Strecke.

In den vergangenen Tagen war in der Mitte Berlins ein kleines Dorf entstanden. Am Alexanderplatz, im Schatten des Fernsehturms, war es errichtet worden und erstreckte sich über die Karl-Marx-Allee bis hin zum Strausberger Platz. Die Formel E war zu Gast in der Hauptstadt.

Im Jahr zuvor, in der Premierensaison, waren die Elektroboliden noch über das Tempelhofer Feld gerast. Doch dort sind Geflüchtete untergebracht, weshalb der Veranstalter »Gil und Weingärtner« mit dem Berliner Senat einen Umzug des Motorsportzirkus’ ins Zentrum vereinbart hatte - gegen den Willen der Bezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. Dass die Wirtschaftsverwaltung dem Veranstalter die Gebühren für die Straßennutzung erlassen möchte, beschert beiden Bezirken 400 000 Euro Einnahmeausfall. Mittes Bürgermeister Christian Handke (SPD) hält das für ungerechtfertigt, weil das Rennen »die Bürger über einen nicht unerheblichen Zeitraum belastet«.

Für Motorsportfans bot das Rennen der Elektroflitzer vor allem einen willkommenen Ersatz für den gestrichenen »Großen Preis von Deutschland« in der Formel 1. Am Samstag waren dementsprechend viele Formel-1-Fans unter den Zuschauern zu finden. Auch der 15-jährige Hagen aus Berlin. Er liebt die Formel 1, doch ein Plakat habe ihn neugierig auf die Elektroserie gemacht, erzählte er. Ungewöhnlich fand er die Abläufe bei der Formel E. »Für den Zuschauer vor Ort ist das klasse, aber ob ich mir das im Fernsehen anschauen würde, weiß ich nicht«, war der Teenager skeptisch.

Dabei ist ein Formel-E-Renntag eine kompakte Sache: Alles findet an einem Tag statt. Den beiden Trainingsrunden am Morgen folgen die Qualifikation am Mittag und das Rennen am Nachmittag. Als Erster durfte am Samstag der Franzose Jean-Eric Vergne in die 48 Runden auf der zwei Kilometer langen Schleife gehen. Vor dem Start hatte er sich volkstümlich geben müssen: Die Formel E will, dass sich Fahrer und Fans näher kommen können - auf eine Armlänge bei der Autogrammstunde.

Im sogenannten »E-Village« wurde auch sonst für die Bespaßung der Zuschauer gesorgt. Hier konnte man sich bei Bier und Wurst in der Sonne braten lassen. Oder sich in die Arbeitswelt eines Rennfahrers hineinversetzen lassen und das Berliner Streckenprofil am Simulator nachfahren: Mit 225 km/h durch Berlin - wenn auch nur vor dem Bildschirm.

Motosportfan Jason, 46, gefiel das Rahmenprogramm: »Am Nürburgring in der Eifel hat man eben auch nur den Ring und sonst nichts.« Der Formel-1-Begeisterte war aus Hamburg mit seinen beiden Söhnen, 19 und 17 Jahre alt, angereist, um die Formel E vor Ort zu erleben. »Wir verfolgen die Serie schon seit dem ersten Rennen in Peking im Fernsehen.«

Etwa 14 000 Zuschauer besuchten das Rennen am Samstag oder schauten von ihren Balkonen aus zu. An der Strecke wurde dabei vor allem rund um die mächtigen Absperrgitter Unmut laut über diese Art von Inszenierung der Stadt. Die schon vor Tagen errichteten massiven Stahlzäune wurden als »neue Mauerteile« tituliert. Und als »Werbeshow«: Kein Zuschauer kam umhin, die eigens präsentierten straßentauglichen E-Autos zu betrachten, deren kauf nun von der Bundesregierung deutlich gefördert werden sollen. Bei Erwerb eines E-Autos soll es in Deutschland bis zu 4000 Euro Prämie geben.

Die Formel E allerdings bleibt international ausgerichtet. Während die neun Teams aus acht Nationen, darunter die USA, Deutschland und Japan, in der ersten Saison noch alle mit dem gleichen Auto an den Start gingen, gilt seit dieser Saison der freie Wettbewerb der Hersteller. Jedes Team hat jeweils zwei Fahrer im Rennen - mit insgesamt vier Fahrzeugen. Zur Hälfte des Rennens wechseln die Fahrer in der Box in ein voll aufgeladenes Auto.

Mit dem Deutschen Daniel Abt, der Zweiter wurde, und dem Italiener Lucas di Grassi, in Berlin Dritter und Führender in der Gesamtwertung, standen zwei Fahrer des deutschen Rennstalls Team ABT am Ende des Rennens auf dem Podium.

Nur die Reihenfolge war anders als geplant, verriet Daniel Abt: »Es gab die Anweisung, Lucas vorbeiziehen zu lassen. Das hatte ich auch vor, doch auf der letzten Runde war mir das Risiko zu hoch, meinen Podiumsplatz zu verlieren.« Noch schneller als die beiden war der Franzose Sébastien Buemi, der jetzt in der Gesamtwertung nur noch einen Punkt hinter di Grassi liegt und so noch einmal für Spannung im Titelkampf vor dem letzten Rennen am 31. Mai sorgt. In Berlin wird dann schon längst wieder Normalität herrschen, während die Veranstalter versuchen, die nächste Innenstadt zu erobern - in London.

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