Der Starrsinn kriegswütiger Admirale

Unentschieden, aber äußerst verlustreich - die Seeschlacht vor dem Skagerrak vor 100 Jahren

  • Horst Diere
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 errichtete Großbritannien in der Nordsee eine Seeblockade gegen Deutschland. Damit war das Kaiserreich von seinen Überseeverbindungen und der Zufuhr lebenswichtiger Güter und strategischer Rohstoffe abgeschnitten. Ohne sich in das Risiko einer Schlacht einzulassen, behauptete die überlegene britische Flotte allein durch ihr Vorhandensein, als »Fleet in being«, ihre Seeherrschaft.

Die kaiserliche Kriegsflotte war vor 1914 in einem wahnwitzigen Rüstungswettlauf auf der Grundlage der von Admiral Alfred von Tirpitz initiierten Flottenbauprogramme zur zweitstärksten Flotte der Welt nach der Royal Navy aufgestiegen. Bei Kriegsausbruch bestand zwischen beiden Flotten ein Kräfteverhältnis von 1:1,8 zugunsten der Briten. Während die Grand Fleet, die britische Schlachtflotte, über 29 Großkampfschiffe vom Typ Dreadnought (deutsch: Fürchtenichts) verfügte, besaß die deutsche Kriegsmarine nur 16 dieser Giganten. Sie lagen in den beiden ersten Kriegsjahren zumeist untätig in ihren Stützpunkten. In der deutschen Öffentlichkeit mehrte sich Kritik, zumal die Auswirkung der Seeblockade drückender wurde.

Dem neuer Chef der Hochseeflotte seit Januar 1916, Vizeadmiral Reinhard Scheer, wurden daraufhin größere operative Möglichkeiten eingeräumt. Zwar wollte auch er eine Schlacht mit der Grand Fleet vermeiden, aber wenigstens Teile von ihr aus den nordschottischen Häfen herauslocken und vernichten, um günstigere Bedingungen für eine spätere Schlacht zu schaffen. Am 31. Mai 1916, kurz nach Mitternacht, verließ die Hochseeflotte ihre Stützpunkte in Jade (Wilhelmshaven) und Elbe. Die Vorbereitungen dazu waren von der britischen Funkaufklärung nicht unbemerkt geblieben. Noch am späten Abend des 30. Mai ließ Admiral John Jellicoe seine Hauptkräfte aus den Stützpunkten Scapa Flow und Cromarty Firth (Nordschottland) sowie die Schlachtkreuzer unter Vizeadmiral David Beatty aus dem Firth of Forth auslaufen. Jellicoe war jedoch ebenso wenig wie Scheer darauf gefasst, auf das Gros der gegnerischen Flotte zu stoßen.

Vor dem Skagerrak an der Nordwestküste Jütlands, trafen am Nachmittag des 31. Mai zunächst britische und deutsche Aufklärungskräfte aufeinander. Und gegen Abend entbrannte das Gefecht zwischen beiden Schlachtflotten. Die deutsche geriet in eine aussichtslose Lage. Scheer brach die Schlacht ab und trat den Rückzug an, wobei es noch zu verlustreichen Nachtgefechten kam.

Die Skagerrakschlacht, in der sich 254 (99 deutsche und 155 britische) Kriegsschiffe gegenüberstanden, war die größte Seeschlacht der Geschichte und blieb die einzige zwischen ganzen Flotten von Großkampfschiffen. Obwohl zahlenmäßig, an Geschwindigkeit und Artillerie überlegen, erlitt die Grand Fleet die größeren Verluste. Es sanken 14 britische und elf deutsche Schiffe; sie rissen 6700 britische und 2545 deutsche Seeleute mit in die Tiefe.

Von beiden Seiten wurde die Skagerrakschlacht, die »Battle of Jutland«, wie die Briten sie nennen, als Sieg reklamiert, obwohl es keinen Sieger gab. Trotz des seinerzeit viel bejubelten taktischen deutschen Erfolgs hat sie weder den Verlauf des Ersten Weltkriegs noch das zugunsten Großbritanniens bestehende seestrategische Kräfteverhältnis verändert und auch nicht die Blockade aufgehoben. In der Weimarer Republik und in Hitlerdeutschland wurde sie dennoch zu einem nationalen Mythos stilisiert. Und obwohl deren Verlauf die von Tirpitz zur Rechtfertigung der deutschen Flottenrüstungen genutzte Doktrin von der kriegsentscheidenden Rolle einer starken Schlachtflotte widerlegt hatte, hielt die Marineleitung, insbesondere Großadmiral Raeder an dieser fest.

Diesem Starrsinn fiel während des Zweiten Weltkriegs das gerade erst in Dienst gestellte, damals modernste und kampfstärkste Schlachtschiff »Bismarck« zum Opfer. Gestellt von britischen Verfolgern, vollzog sich fast taggenau ein Vierteljahrhundert nach der Skagerrakschlacht am 27. Mai 1941 im Atlantik, etwa 700 Seemeilen westlich von Brest, die Tragödie der »Bismarck«; von 2221 Besatzungsangehörigen konnten nur 115 gerettet werden.

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