Provokation mit Kalkül

Alexander Gaulands Äußerung über Fußballnationalspieler Jêrome Boateng

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die wichtigste Botschaft vorab: »Jêrome Boateng ist ein Klasse-Fußballer und zu Recht Teil der deutschen Nationalmannschaft. Ich freue mich auf die EM.« Gut, dass das mal gesagt wird und gut, dass es von Frauke Petry kommt, der von den Medien (wer will, kann an dieser Stelle »Pinocchio-Presse« einsetzen) oft kritisierten (alternativ: bewusst falsch zitierten) Vorsitzenden der Partei »Alternative für Deutschland« (AfD).

Der Sturm im Wasserglas, der für zwei Tage durch den Medienwald und über die Ebenen der Politik wütete, hat sich wieder gelegt. Der Verursacher, Petrys Stellvertreter Alexander Gauland, der von der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« mit der Bemerkung zitiert wurde, die »Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben«, hat sich beim Innenverteidiger des FC Bayern München mittlerweile entschuldigt. Vorher wurde er ob dieser »rassistischen Entgleisung« (»Bild«) von den Medien attackiert und von der Politik als »niveaulos« (Justizminister Heiko Maas) oder gar als »niederträchtig« (Bundeskanzlerin Angela Merkel) bezeichnet. Auch der DFB hat sich unverzüglich hinter den Nationalspieler gestellt und viele Fans haben sich beim Testspiel der DFB-Mannschaft gegen die Slowakei am Sonntag mit Boateng solidarisiert. Am Montagmorgen konnte die Gesellschaft schließlich aufatmen; die Nachrichtenagenturen meldeten, dass Jêrome Boateng (»Sohn einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters«, dpa) über die Äußerungen des AfD-Vizes »nur lächeln« könne. Am Schluss hat sich also doch das »links-rot-grün versiffte 68er-Deutschland« (Petrys Co-Vorsitzender Jörg Meuthen) mit seinen Ansichten durchgesetzt. Alles also wieder im liberalen Lot?

Nein, im Gegenteil. Unter dem Gesichtspunkt der politischen Propaganda hat die rechtsnationale Partei bislang alles richtig gemacht; die Debatte konnte für die AfD nicht besser laufen. Gauland hat ja nicht gesagt: »Ich möchte jemanden wie Jêrome Boateng nicht in meiner Nachbarschaft haben« oder »Ich kann verstehen, dass es Menschen gibt, die jemanden wie Jêrome Boateng nicht als Nachbar haben wollen«. Nein, er hat gewissermaßen uneigentlich gesprochen; es gebe halt Menschen, die den Herrn Boateng nicht in ihrer Nachbarschaft erdulden können - das »leider« fehlt sicher nicht zufällig in diesem Satz. In diesem Sinne ist es falsch, Gauland Rassismus vorzuwerfen und zu meinen, ihn damit aus dem politischen wie medialen Common Sense ausgrenzen zu können. Der Subtext der Aussage des AfD-Politikers liest sich nämlich so: Das, was ich sage, meine ich nicht so, ich möchte aber von den Medien und meinen politischen Gegnern genau so verstanden werden.

Gauland ist kein politischer Naivling. Aufgrund seiner politischen Biografie (Gauland war Ende der 1980er Jahre Leiter der hessischen Staatskanzlei unter dem CDU-Ministerpräsidenten Walter Wallmann) verfügt er über genug Erfahrung im Umgang mit den Medien. Die Empörungen, die nach solchen Äußerungen wie die über den bei einer von ihm nicht näher quantifizierten Zahl von Menschen angeblich ungeliebten Nachbarn Jêrome Boateng politisch wie medial einsetzt, ist Kalkül. Provokationen sind das Erfolgsrezept der politischen Populisten. Mit ihnen sollen die radikalen Wähler angesprochen werden. Die anschließende Relativierung dient der Beruhigung der Moderaten, der Verweis darauf, man sei falsch verstanden bzw. falsch zitiert worden, soll wiederum die Radikalen in ihrer Opposition zum System zusammenschweißen.

Nicht ausgeschlossen, dass Frauke Petry am Rande der in eineinhalb Wochen beginnenden Fußball-EM in Frankreich den in Berlin-Charlottenburg geborenen 27-Jährigen um ein Selfie bittet. Niemand hat bislang die Entschuldigung von Petry an Boateng kritisiert. Dabei ist diese Entschuldigung noch mehr als die von Gauland von Ressentiment vergiftet. Petry hat nichts anderes gesagt, als das, was ihr Stellvertreter im FAS-Interview zum Ausdruck gebracht hat: Wie viele Leute findet auch sie Jêrome Boateng als Fußballspieler gut. Darüber, ob sie ihn sich als Nachbar vorstellen kann, hat Petry wohlweislich geschwiegen.

Ebenso wenig wissen wir, ob Gauland ein Rassist ist oder nur ein Opportunist. Genau das ist es, was die AfD will, denn dieses Nichtwissen ist die Grundlage für den medialen Erfolg der Rechtsaußen-Partei. Worüber Klarheit herrscht, darüber muss nicht mehr geredet werden.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal