Radikahl

Wolfgang Hübner über eine Ankündigung des SPD-Vorsitzenden

Erstaunliches lässt Sigmar Gabriel hören: Die SPD werde nach radikaleren Antworten suchen, »weil die Verhältnisse sich radikalisieren«, erklärte der mittlerweile langjährige Parteivorsitzende der »Zeit«. Radikaler? Etwa noch radikaler als bisher? Das wäre ja – ja, was eigentlich? Das Radikalste, was die SPD in den letzten 20 Jahren zustande gebracht hat, war Hartz IV. Diese so genannte Reform hat nicht unwesentlich zu den sich radikalisierenden Verhältnissen beigetragen, von denen Gabriel jetzt redet. Seit Gerhard Schröder radikalisiert sich die deutsche Sozialdemokratie in Richtung Neue Mitte oder wie immer das gerade heißt; sie radikalisiert sich an der Seite der Union in der Großen Koalition bis auf inzwischen 20 Prozent Wählerzustimmung herunter. Radikal geht auf das lateinische radix, die Wurzel, zurück. Dahin bewegt sich die Umfragekurve der SPD tatsächlich seit langem.

Was heißt also radikaler? Gabriel macht ein paar Andeutungen in Richtung Steuer- und Rentengerechtigkeit, sogar von einem Systemwechsel in der Bildung ist die Rede. Das sagt uns zunächst: Der Wahlkampf für 2017 hat begonnen. Einer muss es ja machen, nachdem Gabriel mit seinem Aufruf für Konkurrenz um die SPD-Kanzlerkandidatur allein gelassen wurde – mag er das nun beabsichtigt haben oder nicht. Sein jüngstes Versprechen ist ein wohlfeiles und muss zunächst niemanden erschrecken oder vom Hocker reißen: Radikaler zu sein als bisher ist für die SPD keine Kunst. Sie müsste sich nur überhaupt mal wieder etwas trauen. Denn was sie in den letzten Jahren abgeliefert hat, ist alles andere als radikal. Höchstens: radikahl.

Aber man soll ja nicht undankbar sein. Wir freuen uns schon auf die Wahlplakate: SPD – jetzt noch radikaler!

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal