Heller als unter tausend Sonnen

Olivier Giroud, Paul Pogba und Dimitri Payet sind so französisch wie Horst Seehofer bayrisch ist

Natürlich ist es ärgerlich, dass man wieder über Hooligans sprechen muss. Auf russischer Seite über Leute, die selbst dann nicht aufhören, auf einen Menschen einzuschlagen, wenn dessen Gesicht schon kaum mehr Konturen aufweist. Auf deutscher Seite über Menschen, die es 2016 für angezeigt halten, mit T-Shirts durch die Gegend zu stapfen, auf denen »Frankreich-Feldzug« steht. Doch damit nicht genug der Neandertaler.

Der eiskalte Horror befällt einen, wenn man in deutschen Medien die Kommentarspalten unter Texten über die französische Nationalmannschaft liest. »So viele Schwarze«, lautet da der Tenor in jedem fünften, sechsten Post. »Wie kann das bloß sein?« Gerne garniert mit folgenden dummbratzigen Erwägungen und Feststellungen: »das sind keine Franzosen«, »kein Wunder, dass die Franzosen sich nicht für Fußball interessieren, mit denen kann man sich ja nicht identifizieren« und ähnlichem...

Darauf möchte ich kurz eingehen, auch wenn`s wehtut so früh am Morgen. Nicht eingehen möchte ich darauf, dass bei gut jedem Dritten, der solche Weisheiten postet, völlig klar ist, aus welchen Abwasserkanälen der medialen Verwertungskette sich seine Erkenntnisse speisen. Wenn die unsichtbare Hand bemüht wird, die die Vermischung von allem und jedem zur großen anonymen Arbeitssklaven-Masse betreibe, und der Anlass dazu ein Fußballspiel ist, ists im Kopf vor lauter Verblendung garantiert heller als unter tausend Sonnen.

Im Grunde ist es ja die gute alte Boateng/Gauland-Debatte, die man da ganz offenbar noch mal aufrollen muss, bei der es im Kern ja darum geht, ob ein Kind, das im Land, für dessen Nationalmannschaft es spielt, aufgewachsen ist, das auch dann tun darf, wenn der Vater oder der Großvater in einem anderen Land geboren sind.

Genau diese Debatte wurde auch in Frankreich geführt, allerdings 30 Jahre vorher, 1986, als mit Basile Boli und Jean Tigana bereits zwei Schwarze im Team waren, sie wurde damals von den Rechtsradikalen unter Jean-Marie Le Pen mit denselben Argumenten befeuert, mit denen 2006 – ja, wir sind eine verspätete Nation – auch die deutsche NPD (»Weiß, nicht nur eine Trikotfarbe«) noch meinte, punkten zu können.

Heute interessiert diese Debatte in Frankreich kaum noch einen, nicht einmal Le Pens Tochter Marine würde sich von solchen Argumenten noch Wählerstimmen erhoffen. Deshalb noch mal eine Klarstellung für all die, deren Horizont vom Ortsschild bis zum Gartenzwerg im Vorgarten reicht: Frankreich hat eine Kolonialgeschichte, aufgrund derer heute viele Menschen mit Wurzeln in Afrika oder den Antillen hier leben, aus anderen Gründen leben auch viele Menschen, deren Wurzeln in Osteuropa liegen, hier. Sie alle sind Franzosen, wenn sie in Frankreich geboren sind, und ob Sie das nun glauben oder nicht, dass das so auch richtig ist, wenn man sich auf die bekannten drei Grundwerte beruft, gehört in Frankreich zum Grundkonsens. Also noch mal: Olivier Giroud (in Chambéry geboren), Paul Pogba (Pariser Banlieue) und Dimitri Payet (Réunion, gehört zu Frankreich) sind so französisch wie Horst Seehofer bayrisch ist, zumindest wird das in Frankreich so gesehen.

Und um am Schluss noch mal auf ein ganz schlaues Fundstück aus einem Forum einzugehen: Ja, Payet ist Franzose, OBWOHL er Dimitri heißt. Es soll ja auch Deutsche geben, die Rico oder Kevin heißen ...

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