Mit dem eigenen Misserfolg auf die Bühne

Während FuckUp Nights genannten Veranstaltungen steht das unternehmerische Scheitern im Mittelpunkt

  • Harald Lachmann, Nürnberg
  • Lesedauer: 4 Min.
In immer mehr deutschen Städten treffen sich regelmäßig Vertreter der Unternehmerszene, um über Misserfolge und Fehlschläge zu reflektieren und notwendige Lehren zur Diskussion zu stellen .

»Mein erster FuckUp« steht auf der Leinwand. Doch der 24-Jährige davor, der von einem Missgeschick seiner jungen Unternehmerkarriere erzählt, wirkt eher locker statt geknickt. Obwohl noch Student der Betriebswirtschaft, hatte Paul Niebler 2014 mit einem Partner eine Firma gegründet. Sie vertreiben ein Gutscheinheft in Form eines Kartenspiels, bei dem den Gewinnern Freidrinks in Nürnberger Bars und Clubs winken. Doch anfangs waren sie auch sehr gutgläubig, trafen etwa alle Vereinbarungen mit den Clubs nur mündlich. So sahen sie sich plötzlich mit einer Schadensersatzforderung über 20 000 Euro konfrontiert.

»Da habe ich nachts sehr wenig geschlafen und schon mal den Begriff Privatinsolvenz gegoogelt«, gesteht Niebler dem gebannt lauschenden Publikum. Ein Anwalt wendete das Schlimmste ab, aber auch der war nicht umsonst: Er nahm fast mehr für die Stunde, als der Student im Monat für seine WG bezahlt. So riet er nun vor allem den potenziellen Firmengründern im Raum: »Immer alles schriftlich vereinbaren!«

Wesentlich böser traf es da den nächsten »Sprecher« dieser ersten Nürnberger FuckUp Night. Bernd Kaiser schien eine Bilderbuchkarriere hinzulegen, als er 1991 das elterliche Autohaus in Nürnberg übernahm. Er startete bald groß durch, vertrat Weltmarken, beschäftigte 40 Mitarbeiter. Doch eine Kette böser Umstände trieb ihn 2011 unrettbar in die Insolvenz. Noch immer schiebt er 1,6 Millionen Euro Schulden vor sich her.

Doch wirklich in die Knie, so berichtet er nun, zwang ihn das nicht. Kaiser betreibt nun eine Autovermittlung und unterstützt seine Gattin, auf die das geschrumpfte Autohaus nach einer Neugründung läuft. Zudem arbeitet er als Insolvenzberater. So empfiehlt er den Zuhörern nun aus erster Hand: »Weder größenwahnsinnig noch leichtsinnig werden!« Und: »Stets auch einen möglichen Turnaround einzukalkulieren und hierfür dann ein sicheres Finanzpolster vorhalten.« Doch scheitern sollte man »möglichst ganz am Anfang - und mit wenig Geld...«

Mithin lud nun auch die Frankenmetropole erstmals zu einer FuckUp Night: eine Eventreihe, die aus Mexiko kommt. 2012 hatten sich hier fünf Unternehmer beim Bier über ihre geschäftlichen Misserfolge unterhalten. Das fanden sie nicht nur unterhaltsam, spannend und fruchtsam - sie entdeckten, dass sich über solche Fehlschläge kaum irgendwo etwas nachlesen ließ. Dabei wäre aus einem Schiffbruch mehr zu lernen als aus glorreichen Erfolgen.

»Wahrscheinlich trauen sich die Betroffenen nicht, über ihr Scheitern zu sprechen, da dem stets ein Makel anhaftet«, so Organisator Armin Rupp, selbst Inhaber einer Franchise-Firma. Der etwas anrüchige englische Begriff, so erläutert er, leite sich von »to fuck up something« ab, zu Deutsch: etwas verhunzen oder vermasseln.

Auch Rupp räumt ein, dass er es wohl hätte sein lassen, »wenn ich gewusst hätte, wie schwer das ist«. Immerhin scheiterten - statistisch gesehen - neun von zehn Unternehmen. Nur spreche leider kaum jemand darüber, was er falsch gemacht habe. Offenkundig fehle in Deutschland eine »Unternehmerkultur des Fehlerlernens«. Damit vermisst er auch den Respekt gegenüber jenen »Entrepreneuren, die vermeintlich gescheitert sind, doch immer wieder aufstanden, aus ihren Fehlern lernten und heute mit beiden Beinen im Leben stehen«.

Dabei wisse schon der Volksmund: »Aus Schaden wird man klug« oder »Aus Fehlern lernt man«. Dennoch bekämen gerade Insolvenzler allzu schnell Etiketten wie Bankrotteur oder Loser angeheftet. »Dabei gehört der Misserfolg zu jeder Erfolgsgeschichte«, ist er sicher - und verweist auf berühmte Erfindungen, die eigentlich aus Fehlern entstanden: Meißner Porzellan, Penicillin, Viagra ... Mithin hält er es für »Zeit- und Energieverschwendung, krampfhaft neue Fehler vermeiden« zu wollen. Besser sei es, sie zuzulassen, zu ihnen zu stehen, sie zu analysieren. »Das schützt nicht vor neuen Fehlern, bietet aber die Chance, alte nicht zu wiederholen«, so der studierte Pädagoge.

Inzwischen finden FuckUp Nights weltweit in über hundert Städten statt - von Oslo über Johannesburg und Los Angeles. Stets erzählen dann drei bis vier Unternehmer über ihre Misserfolge und resümieren zugleich, was sie daraus lernten. So sitzen im Publikum vor allem Studenten, junge Leute, die mal eine Familienfirma fortführen sollen, Startups, Business Angels, Gründerberater.

Wichtig bei diesen Nächten ist dabei, dass die Sprecher offen und locker berichten: »Emotionen sind erlaubt und erwünscht«, sagt Rupp. Und offenbar scheint es für die Betroffenen regelrecht befreiend zu sein, vor wohlwollendem Publikum mal das Herz ausschütten zu können. Kein Vergleich etwa zu einer »hochpeinlichen Begegnung mit einem Insolvenzverwalter, bei der man nur unter den Tisch kriechen will ...«, gesteht Bernd Kaiser.

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