Sachsen fährt auf autonom ab

Wie Automobilhersteller im Freistaat bei der Entwicklung des »autonomen Fahrens« mitwirken

  • Lesedauer: 4 Min.
Es lenkt von selbst, kommuniziert mit Ampeln und Fußgängern: In Chemnitz arbeiten Ingenieure am selbstfahrenden Auto. Sie sind überzeugt: In wenigen Jahren ist es auf der Autobahn unterwegs.

Chemnitz. Ein Knopfdruck, dann surrt das Auto los. Wie von Geisterhand bewegt sich das Lenkrad. Automatisch wendet der schwarze E-Golf, wird schneller. »Das macht er von ganz allein«, sagt Ingenieur Stephan Grimm vom Autotechnikentwickler IAV - und nimmt zum Beweis die Hände hoch. Als eine rote Ampel in Sicht ist, bremst das Fahrzeug. Sobald die Anzeige auf Grün springt, geht es weiter, im Schritttempo. Erst nach ein paar Sekunden wird klar, warum: Versteckt zwischen parkenden Autos steht ein Mensch.

Fahrzeuge, die mit Ampeln kommunizieren. Fußgänger, die mittels Smartphone oder Smart Watch ankündigen, dass sie sich einer Kreuzung nähern. Eingebaute Laser- und Radargeräte sowie Kameras, die die Umgebung auf Hindernisse abchecken: Was sich anhört wie aus einem Science-Fiction-Roman, ist auf dem Flugplatz Jahnsdorf bei Chemnitz schon Realität: Hier testet IAV Lösungen für hochautomatisiertes Fahren. Das Auto übernimmt immer mehr Aufgaben, der Mensch weniger.

»Dadurch habe ich mehr Zeit«, sagt Grimm. Per Sprachsteuerung fragt er seinen Kalender ab, kann sich Präsentationen anzeigen oder Mails vorlesen lassen. Für seine technischen Lösungen arbeitet das Unternehmen, an dem VW 50 Prozent hält, mit Microsoft zusammen. Weltweit beschäftigt IAV mit Hauptsitz in Berlin rund 6500 Mitarbeiter, in Chemnitz-Stollberg wird vor allem am hochautomatisierten Fahren getüftelt. Rund 800 Mitarbeiter sind am Standort beschäftigt.

Auf dem Testgelände drehen zwei Demonstrationsfahrzeuge ihre Runden. Das dritte ist gerade in den USA unterwegs. Mehr als 100.000 Kilometer haben sie insgesamt schon zurückgelegt, wie IAV-Bereichsleiter Udo Wehner erzählt. »Dinge, die sowieso verfügbar sind, mehr zu vernetzen«, beschreibt er seine Vision - und spricht von einem großen Umbruch in der Autobranche. »Bisher haben wir als Ingenieure sehr fahrzeugbezogen gedacht, nun geht es darum, die IT-Welt mit der Fahrzeugwelt zu vernetzen.«

Die deutsche Automobilindustrie rechnet mit Milliardenumsätzen durch teilautonome und selbstfahrende Autos. Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Center Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg-Essen, geht bereits für 2020 von einem Umsatz von 55 Milliarden Euro aus. 2030 könne dieser schon bei mehr als 300 Milliarden Euro liegen. »Autonomes Fahren wird die größte Innovation der Branche seit dem Übergang von der Pferdekutsche zum Auto.«

Nahezu alle arbeiten laut Dudenhöffer am »Roboterauto«: Autobauer wie Daimler, BMW, Audi, GM, Volvo und andere. Internet-Konzerne wie Google und Apple, Fahrdienste wie Uber und Didi Chuxing in China. IAV müsse Gas geben, um nicht abgehängt zu werden. »Das Rennen läuft.«

Im Autoland Sachsen spielen die Themen automatisiertes Fahren und - eng damit verknüpft - Elektromobilität eine große Rolle, so Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). »Wir sollten weiter zu klassischen Antrieben forschen, aber dennoch alle Anstrengungen in Elektromobilität stecken.«

In Leipzig baut BMW seine Elektroautos i3 und i8, in Kamenz fertigt die Daimler-Tochter Deutsche Accumotive Lithium-Ionen-Batterien für Elektro- und Hybridautos. In der Gläsernen Manufaktur in Dresden präsentiert VW das Schaufenster der Marke für Elektromobilität und Digitalisierung. IAV arbeitet gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für keramische Technologien und Systeme (IKTS) und der thyssenkrupp System Engineering GmbH in Hohenstein-Ernstthal an einer neuen Generation von Lithium-Ionen-Batterien. »Damit sind Reichweiten bis zu 1000 Kilometer realisierbar«, so Mareike Wolter vom IKTS.

Auf den Autobahnen ist hochautomatisiertes Fahren technisch zumindest bereits möglich. »Nach meiner Einschätzung werden wir bereits um das Jahr 2020 Autos und Technologien haben, die selbstständiges Fahren auch in Städten und der Landstraße ermöglichen«, so Dudenhöffer.

Dort aber, gibt Udo Wehner von der IAV zu bedenken, sind die Situationen komplex und unübersichtlich: Radfahrer, Kinder und Fußgänger sind unterwegs. »Da ist es mit unseren Systemen noch nicht möglich, das so sicher zu erfassen, dass wir autonom durch die Stadt kommen.« Auch er geht davon aus, dass zumindest auf den Autobahnen 2017/2018 immer mehr Fahrzeuge hochautomatisiert unterwegs sind.

»Das bedeutet, dass wir für ein paar Sekunden das Fahren dem Fahrzeug überlassen dürfen.« Ähnlich wie ein Autopilot lässt sich das System dann zuschalten. Zu einem erschwinglichen Preis? »Davon gehe ich aus, so viel Sensorik im Vergleich zu einem heutigen Mittelklassewagen fehlt gar nicht«, so Wehner.

Chancen für das autonome Fahren sieht er auch für den ländlichen Raum. Schon in den nächsten Jahren könnten dort als Pilotprojekte selbstfahrende Shuttles zum Einsatz kommen - als Ergänzung zu den öffentlichen Verkehrsmitteln. Dort ist die Rechtslage allerdings noch schwierig, weil die Shuttles ohne Fahrer auskommen. Experten sehen die Politik in der Pflicht, möglichst rasch rechtliche Fragen zu klären, etwa bei Haftungsfragen im Falle von Unfällen.

Nicht bei allen aber stößt die schöne neue Welt auf Gegenliebe: »Für den Fahrer, der sich in ein autonomes Auto reinsetzt, ist es im ersten Augenblick erst einmal eine Kopfsache«, so Wehner. Dennoch ist er davon überzeugt, dass das Fahren im vernetzten und autonomen Auto irgendwann zur Selbstverständlichkeit wird. »Wenn man erst einmal auf der Autobahn sieht, dass es funktioniert, wird sich die anfängliche Skepsis in Vertrauen verwandeln.« dpa/nd

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