Massakrierter Wohnungsbau

Jährlich fallen 45.000 Wohnungen aus der Sozialbindung - und niemand hält dagegen / LINKE fordert Neuausrichtung der Förderpolitik

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

45 000 Wohnungen sind eine Stadt - und nicht einmal eine ganz kleine. Dies muss man sich vor Augen halten, um die Dramatik eines Vorgangs zu ermessen, der sich gerade schleichend abspielt: Jedes Jahr fällt Wohnraum im Umfang einer ganzen Stadt aus der Sozialbindung. Zugleich haben zumindest in den Ballungsräumen nicht nur Gering-, sondern zunehmend auch Normalverdiener Schwierigkeiten, angemessenen und bezahlbaren Wohnraum zu finden. Und die Bundesregierung zeigt sich außerstande, diese Entwicklung zu stoppen, sagt die Linkspolitikerin Caren Lay.

Nach der Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der Linksfraktion gab es in Deutschland 1990 noch rund drei Millionen Sozialwohnungen. Heute sind es nicht einmal mehr halb so viele. Besonders drastisch fällt der Rückgang seit dem Jahr 2000 aus. In Ländern wie Berlin, Brandenburg, Bayern, Hamburg und Hessen hat sich die Zahl der geförderten Wohnungen zwischen 2000 und 2015 halbiert. Ausgerechnet in Bremen, das aufgrund seiner sozialen Lage allemal einen entsprechenden Bedarf hat, sind seit 2000 sogar 75 Prozent der Sozialwohnungen weggefallen. Vom Bestand von 1991 sind dort nur noch 11 Prozent übrig.

Zwar zeigen die Zahlen für die Jahre 2008 und 2009 einen leichten Anstieg. Doch für die Zeit zwischen 2010 und 2013 folgt gleich wieder ein eklatanter Rückgang der Fördermaßnahmen von deutschlandweit 60 000 auf 30 000.

»Pro Jahr fallen deutschlandweit rund 45 000 Sozialwohnungen aus der Bindung«, kommentiert Caren Lay gegenüber »nd«. Dies wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Bis 2020 sind nach derzeitigem Stand mindestens 160 000 Wohnungen davon betroffen - für 2017 haben die Länder knapp 44 000 Fälle gemeldet, für 2018 rund 44 500, für 2019 gut 33 000 und für 2020 etwa 30 000 Wohnungen. Es dürften real noch Tausende hinzukommen, denn mehrere Länder haben gar keine Angaben gemacht. Dieser Trend droht sich zudem langfristig fortzusetzen. Die Angaben der Länder lassen erkennen, dass sich der heutige Sozialwohnungsbestand bis 2030 um weitere 50 bis sogar 75 Prozent verringern könnte.

Für die Linkspartei verweisen diese Tendenzen auf eine verfehlte Politik. Zwar haben die Bundesländer zuletzt jährlich zusätzlich 1,5 Milliarden Euro für Sozialen Wohnungsbau vom Bund erhalten, auch um den Zuzug Geflüchteter aufzufangen. Allerdings sind diese Gelder nicht zweckgebunden und werden oft anderweitig eingesetzt. Sachsen beispielsweise hat von den 120 Millionen Euro, die es zuletzt jährlich für Sozialen Wohnungsbau zugewiesen bekam, nicht eine einzige Wohnung gebaut. Das Geld ging laut Lay einfach in den Landeshaushalt. Im Freistaat gibt es heute weit weniger als 10 000 Sozialwohnungen.

»Der Niedergang des Sozialen Wohnungsbaus kann trotz der zusätzlichen Bundesmittel nicht gestoppt werden«, sagt Lay. Es sei ein Fehler gewesen, die Verantwortlichkeit dafür komplett an die Länder zu geben. Notwendig sei eine Fortsetzung der Bundesförderung auch nach 2019. Es sei »fatal, dass dies in der aktuellen Grundgesetzänderung nicht vorgesehen ist«. Tatsächlich hat die Bundesregierung in der vergangenen Woche die für die im Herbst beschlossene Neuregelung des Länderfinanzausgleichs notwendige Verfassungsänderung eingebracht. Teil dieses Bund-Länder-Kompromisses ist auch das Ende der Mittelzuweisung für Sozialen Wohnungsbau. Die Länder werden pauschal über höhere Steuerzuteilungen entschädigt.

Die Linksfraktion fordert eine entsprechende Neuausrichtung der Wohnungspolitik. Der Bund soll nach ihren Vorstellungen jährlich fünf Milliarden Euro an die Länder ausreichen - allerdings mit einer strikten Zweckbindung. Es müsse sichergestellt werden, dass diese Gelder vorrangig kommunalen und gemeinnützigen Trägern zur Verfügung gestellt werden. Zudem müsse gelten, dass als Sozialwohnung errichteter Wohnraum in Zukunft nicht - wie bisher - nach 15 Jahren aus der Sozialbindung herausfällt. Um die Situation auf dem Wohnungsmarkt zu entschärfen, müsse gelten: »Einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung«, heißt es bei der Linksfraktion.

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