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Im Herzen des schwarzen Brasilien

Bei Auftaktdemonstration des Weltsozialforum dominieren Afro-Aktivist*innen und Indigene

  • Niklas Franzen, Salvador da Bahia
  • Lesedauer: 3 Min.

Für Nancy Andrade fängt der Widerstand auf dem Kopf an. »Schwarze Jugendliche müssen lernen, ihre Haare wertzuschätzen. In den Medien sehen sie fast nur Weiße, deshalb fangen sie an sich die Haare zu glätten.« Andrade - Afrofrisur, Zahnspange, breites Lächeln - läuft dichtgedrängt durch die engen Straßen ihrer Heimatstadt Salvador. Es ist die Auftaktdemonstration des Weltsozialforum (WSF). Die Afro-Aktivistin sagt: »Es gibt in Brasilien eine Pyramide - und schwarzen Frauen stehen dort ganz unten. Das muss sich ändern.«

Die dumpfen Trommelklänge hallen beim Auftaktmarsch durch die Straßen des historischen Zentrums. Viele Teilnehmer sind in den weißen Gewändern der afrobrasilianischen Candomblé-Religion gekommen. Jugendliche tragen offen ihre krausen Haare zur Schau. Eine Gruppe hat sich in einem Kreis zum Capoeira, dem afrobrasilianischen Kampftanz, versammelt. Salvador ist die Hauptstadt des schwarzen Brasiliens: In der Küstenmetropole sind vier von fünf Bewohner*innen Nachfahren von afrikanischen Sklaven. Viele leben bis heute in bitterer Armut. Und die Gewalt trifft schwarze Bewohner überproportional. Andrade meint: »Unsere Jugend wird getötet, es ist ein Genozid an der schwarzen Bevölkerung. «

Doch nicht nur afrobrasilianische Gruppen ziehen an diesem Dienstag durch die tropisch-feuchte Hitze Salvadors. Auch indigene Gemeinden sind stark auf der Demonstration vertreten. Nailton Muiz ist Oberhaupt, ein sogenannter »Cacique«, der Pataxó-Indigenen aus dem Süden des Bundesstaates Bahia. Sein nackter Oberkörper ist mit schwarzen Mustern bemalt, auf dem Kopf trägt er einen Federschmuck. »Die Rechte, die uns in der Verfassung von 1988 eingeräumt wurden, werden mit Füßen getreten.« Weite Teile von einst indigenem Land befinden sich heute in den Händen von Großgrundbesitzern.

Agrobusiness und umstrittene Großprojekte bedrohen die Existenz vieler Gemeinden. Und die Gesundheitslage in den Dörfern ist dramatisch. Laut Muniz habe sich die Situation der Indigenen mit der Präsidentschaft des rechtsgerichteten Präsidenten Michel Temer sogar noch verschlechtert. Die Pataxó-Indigenen sind nach Salvador gekommen, um anzuklagen: »Wir dürfen nicht länger hinnehmen, dass wir in unseren Territorien massakriert werden«.

Es ist eine laute und bunte Demonstration. Doch: Die Teilnehmerzahl der Demonstration bleibt weit hinter den Erwartungen. Auf einer Pressekonferenz in der Universität von Bahia (Ufba) erklärt Mauri Cruz vom Organisationsteam, dass sich bereits 25 000 Personen im Vorfeld angemeldet hätten. Bis zu 60 000 Teilnehmer*innen sollen in den nächsten Tagen kommen. Rund 1600 Aktivitäten finden in diesen Tagen im gesamten Stadtgebiet statt. Ein Großteil der Veranstaltungen findet in weißen Zelten auf dem Campus der Ufba zwischen baufälligen Fakultätsgebäuden und Palmen statt.

Noch nie in der siebenzehnjährigen Geschichte des Weltsozialforums war das Budget so klein wie in diesem Jahr. Die schwere Krise des Gastgeberlandes trifft auch den linken Gipfel. Was auf dem internationalen Megatreffen auffällt: die Abstinenz von internationalen Gästen. Nur wenige ausländische Aktivisten haben sich auf den Weg nach Salvador gemacht, brasilianische Gruppen dominieren das WSF. Auch in diesem Jahr sind alle Veranstaltungen selbstorganisiert. Höhepunkt soll eine internationale Frauenkonferenz sein. Mit Spannung fiebern viele auch den Auftritten ehemaliger und aktueller Staatschefs zu. Für Cruz ist klar: »Wir dürfen nicht einfach nur den Kapitalismus anklagen, sondern auch zeigen, dass wir einen Ausweg haben.«

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