• Berlin
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Enteignung mit Sekt und Klassik

Im Grunewald wird eine Oper zum Thema Umverteilung aufgeführt – sozialistisch-satirisch im besten Sinne

  • Christian Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Pünktlich um 15 Uhr am Samstag haben sich etwa 200 Personen eingefunden. Sie sind als Zuschauer zur Enteignungsoper »Grunewalddämmerung« gekommen. Eingeladen hat dazu das »Quartiersmanagement Grunewald«. Dahinter verbirgt sich Team der Hedonistischen Internationale – einem linken aktionsorientierten Netzwerk, dass hier zu einer »satirisch-sozialistischen Intervention« einlädt. In Zeiten von Corona sei die Vergemeinschaftung von Wohnraum nun mal wichtiger denn je, heißt es in einem Mobilisierungsvideo. Die Oper solle das »Society-Event des Jahres« werden.

Die Bühne steht an der Kreuzung Bismarckallee, Ecke Johannaplatz. Lautsprecher beschallen das Publikum auf der Straße und den angrenzenden Grünflächen. Rundherum stehen imposante Wohnhäuser. Mit dem Johannaplatz habe man bewusst ein schönes Panorama gewählt, sagt Michael Lehmann, Kulturreferent des Quartiersmanagements. Neben der Bühne stehen zwei große Schwarz-Weiß-Porträts. Sie wirken vertraut, aber irgendetwas stimmt nicht. Es sind immer zwei Gesichter ineinander montiert: Richard Wagner und Rosa Luxemburg auf der einen und Ludwig van Beethoven und Emma Goldman auf der anderen Seite. Auch damit habe man an eine bestimmte Kultur angedockt, so Lehmann, um die Leute im Grunewald »abzuholen«.

Nicht nur das Setting unterscheidet die Kundgebung von anderen. Hier ist viel Augenzwinkern und Ironie im Spiel. Formale Details der Hochkultur werden imitiert. Am Infotisch bekommt man ein Libretto mit Infos und Texten, viele Leute haben sich in Schale geworfen, es wird Sekt getrunken. Stilecht ist dem Bühnenprogramm ein Foyergespräch vorangestellt. Wolfgang Wagner von der Neuen Treuhand führt in die Grunewalddämmerung ein. Das Programm behandle die demokratischen Enteignung auf drei Ebenen: die Ideengeschichte, beteiligte Organisationen und schließlich die Sozialgeschichte dieser gesellschaftlichen Transformation. Seine abstrakten Ausführungen kontrastiert er mit einer sympathischen Fahrigkeit und der Tatsache, dass er auf einer Bierbank steht.

Anschließend betritt Lehmann die Bühne mit einer programmatischen Ansprache. Ein gutes Leben für alle stehe im Zentrum der Bemühungen, doch erlebe man derzeit eine »Abfolge von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und gesundheitlichen Krisen«, heißt es. Immer mehr Menschen würden vom guten Leben ausgeschlossen, während der Rest sich einschließe: »Egal ob an den europäischen Außengrenzen oder hier im Grunewald – es ist das gleiche Prinzip!« Aber Mauern und Zäune hätten noch nie Probleme gelöst, sondern vielmehr Krisen verschärft. Erinnert sei an Zar Nikolaus II. und Marie-Antoinette. »So etwas wünsche ich niemandem!«, deklamiert der Redner. Daher gelte es nun, nicht den Augenblick zu verpassen – und umzuverteilen. »Ob Firmenbeteiligung, Aktien oder Immobilien – all dies muss enteignet und in eine demokratischen Prozess umverteilt werden.« An die Anwohner*innen gerichtet ruft er: »Kommt dazu, es betrifft euch.« Und erntet viel Gelächter im Publikum.
Die Zahl der Besucher*innen ist derweil auf etwa 500 angewachsen. Die Polizei ist vor Ort, hält sich aber auf Distanz. Als Zaungast findet ein Paar mittleren Alters aus der Nachbarschaft ein. Es hat haben kein Verständnis für den kreativen Protest. Viel Neid sei da im Spiel, sagen die beiden. Andere Anwohner*innen sind interessiert und amüsieren sich offensichtlich. Wieder andere geben Tipps zur Wohnungspolitik: Das einzige was helfe, sei »bauen, bauen, bauen«, weiß einer. Auf der Bühne bringt Herr Perlemann, der durch das Programm führt, irgendwann den Vorschlag der Nachverdichtung im Grunewald ins Gespräch. Auch für die vielbeschworene soziale Mischung wäre das gut. Der Grunewald sei verkehrstechnisch zwar gut angebunden, aber dennoch sehr weit weg.

Nach einer Ouvertüre nebeln schwarze und rote Rauchtöpfe das Publikum vor der Bühne ein. Erster Akt: Die Gespenster der Enteignung suchen die Bühne heim und laufen anschließend durch die Kundgebung. Dabei tragen sie Schilder der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen.

Selbstverständlich wird keine Oper geboten, sondern eine choreographierte Aneinanderreihung von politischen Kulturbeiträgen, wobei auf der ganzen Klaviatur gespielt wird. Die schnelle, kulturelle Eingreiftruppe des Theater X schlägt ernste Töne an. Ihre Interpretation von »All you fascists bound to loose« von Woody Guthrie zieht eine Linie von der Ermordung Walter Rathenaus in der Weimarer Republik zur Ermordung Walter Lübkes in unserer Zeit. Zwischendurch gibt es auch eher konventionelle Redebeiträge von Zwangsräumungen verhindern oder dem kürzlich geräumten Syndikat. Hintergrund eines Redebeitrags von Sea Watch ist deren neue, vom Streetart-Künstler Banksy gesponsorte Jacht. Seit August dient sie der Flüchtlingsrettung, während die allermeisten Luxusjachten keinem sinnvollen Zweck dienen, wenn sie nicht sogar für organisierte Kriminalität genutzt werden, was aber zu keiner öffentlichen Erregung führt, wie es heißt.

Die Gesamtperformance ist locker, aber ziemlich professionell. Die Show ist gut getaktet und geht lückenlos über die Bühne. Dabei wird sich nach Herzenslust bei der Hoch- und Popkultur bedient: Strauss, Verdi, Bizet, Snap, Nena, Ton Steine Scherben. Geigerzähler spielt Tucholsky und Transophonix bläst den Marsch.

Im Gespräch sagt Lehmann, man habe sich für das Format Oper entschieden, weil es da um »viel Emotionen und wenig Argumente« gehe. Ähnlich sei es beim Thema Enteignung. Doch diese sei alternativlos. In Bezug auf die Wohnraumproblematik sei die Diskussion in der Stadt zwar schon weit, aber »jetzt müssen Resultate kommen«, so Lehmann. Das klingt ironischer, als es gemeint ist.

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