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Vom Verfassungs- zum Reformvertrag

Die geplante neue Rechtsgrundlage der EU änderte in erster Linie ihre Bezeichnung

  • Andreas Wehr, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Der EU-Reformvertrag ist alter Wein in neuen Schläuchen. In ihm tauchen die Festlegungen der Verfassung wieder auf.

»Der Vertrag über die Europäische Union und der Vertrag über die Arbeitsweise der Union werden keinen Verfassungscharakter haben: Der Ausdruck ›Verfassung‹ wird nicht verwendet.« Darauf hatte sich der Europäische Rat bereits im Juni 2007 geeinigt. In der von ihm einberufenen Regierungskonferenz wurde denn auch nur ein Reformvertrag zur Änderung der bestehenden europäischen Verträge ausgearbeitet. Beraten wurde er, wie es bereits bei den vorangegangenen Vertragsänderungen von Maastricht, Amsterdam und Nizza der Fall war, einmal mehr hinter verschlossenen Türen.

Arbeitet man sich nun mühsam durch die Formulierungen dieses Reformvertrags, so stellt man am Ende fest, dass er sich inhaltlich so gut wie nicht vom gescheiterten Verfassungsvertrag unterscheidet. Es ist der sprichwörtliche alte Wein in neuen Schläuchen! Nehmen wir etwa die Wirtschaftspolitik: Die seit Maastricht im EG-Vertrag stehenden und in den Verfassungsvertrag übernommenen neoliberalen Inhalte bleiben unverändert erhalten. Keine Rede ist mehr von einem Sozialprotokoll, das selbst Kanzlerin Merkel dem Verfassungsvertrag nach dessen Scheitern in Frankreich und in den Niederlanden noch beifügen wollte. Allein bei den Werten der Union verzichtet man auf die Herausstellung »eines Binnenmarktes mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb«. Damit aber klar ist, dass sich damit inhaltlich nichts ändern soll, wird sogleich ein Protokoll angefügt, wonach zur EU »ein System gehört, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt«.

Erhalten bleiben auch die Vorschriften des Verfassungsvertrages zur weiteren Militarisierung. Hier findet sich der berüchtigte Satz aus dem Verfassungsvertrag wieder, wonach sich »die Mitgliedstaaten verpflichten, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern«. Auch bleibt es bei der vertraglichen Verankerung der Rüstungsagentur.

Was das Demokratiedefizit der EU angeht, so wird es vom neuen Reformvertrag so wenig wie vom alten Verfassungsvertrag beseitigt. Weder erhält das Europäische Parlament ein Initiativrecht zur Einbringung eigener Gesetzesvorhaben, noch soll eine echte Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Parlament stattfinden können. Bei der Neuregelung des Abstimmungsverfahrens im Rat bleibt es bei der Umstellung auf das demografische Prinzip. Der Gewinner wird Deutschland sein, das seinen Anteil auf Kosten der kleineren Länder mehr als verdoppeln kann.

Der Reformvertrag weist nur wenige, vergleichsweise geringfügige Verbesserungen auf. Hierzu zählen einige Bestimmungen, in denen die Souveränitätsrechte der Mitgliedstaaten gegenüber dem Machtanspruch Brüssels verteidigt bzw. gestärkt werden. So wird die den nationalen Parlamenten eingeräumte Frist für Subsidiaritätskontrollen geringfügig von sechs auf acht Wochen verlängert. Und es wird ein neues Protokoll über Dienste von allgemeinem Interesse geben, in dem »die wichtige Rolle und der weite Ermessensspielraum der nationalen, regionalen und lokalen Behörden« hervorgehoben werden.

Angesichts der weitgehenden Identität von Verfassungs- und Reformvertrag behält die Grundsatzkritik von links ihre Gültigkeit. Aktuell bleiben etwa der Parteitagsbeschluss der PDS vom Oktober 2004, die verschiedenen Erklärungen der Fraktion der Linken im Europaparlament (GUE/NGL) aus Anlass von Parlamentsbeschlüssen zum Konventsentwurf bzw. Verfassungsvertrag und das Memorandum für eine demokratische, freiheitliche, soziale und Frieden sichernde EU von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine aus dem Januar 2007. Vor allem besteht die Forderung nach Volksabstimmungen in allen Mitgliedsländern weiter.

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