Roter Teppich für die Superhelden

Ausverkauftes Haus bei der »Gala der prekären Perspektiven«

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 3 Min.
Nicht nur bei der Berlinale haben Hunderte Menschen sogenannte prekäre Jobs. Doch das Show-Ereignis nahmen linke Gruppen zum Anlass, die Helden des Alltags hinter den Kulissen mit einem Preis zu würdigen.

Sogar die Sprüche in den verteilten Glückskeksen beschäftigten sich an diesem Abend mit prekären Arbeitsbedingungen, statt Geld und Glück zu verheißen. »Und weil du dich halt künstlerisch verwirklichst, muss man dir halt auch kein normales Gehalt zahlen«, steht darauf. Jenseits des Glanzes der Berlinale gingen die Preise der »Helden des Alltags« am Samstag im ausverkauften Roten Salon der Berliner Volksbühne nicht an die Stars, sondern an die Menschen hinter den Kulissen. Organisiert von der Kampagne »Mir reicht's ... nicht!«, einer Initiative von Euromayday Berlin-Hamburg, einem Zusammenschluss linker Gruppen gegen prekäre Arbeitsverhältnisse, und der Berliner Gruppe »Für eine linke Strömung« (FelS), wurden sie hier zu Hauptdarstellern ihres eigenen Lebens.

Ob als Regisseurin, die sich von Projekt zu Projekt hangelt, unterbrochen von Hartz IV, oder ob als Lichttechniker mit 80 bis 90 Wochenstunden, aber auch als Reinigungskraft mit einem Stundenlohn von 7,97 Euro – was sie alle gemein haben, ist, dass sie schlecht bezahlt den Glamourbetrieb der Berlinale ermöglichen. Und da sind auch noch die Praktikanten. 400 Euro im Monat bekommen sie bei der Berlinale. Das ist zwar mehr als die üblichen unbezahlten Praktika, aber existenzsichernd ist das nicht. Viele von ihnen arbeiten schon seit Jahren in solchen Beschäftigungsverhältnissen, immer in der Hoffnung auf eine feste Anstellung.

Das Filmkollektiv AK Kraak präsentierte auf der Gala Statements von MitarbeiterInnen hinter den Kulissen, nur wenige wollten sich äußern, kritisieren wollten sie ihre Arbeitgeber nicht, auch weil es ihnen in ihren Arbeitverträgen ausdrücklich untersagt sei. »Das ist gar nicht zulässig, auch wenn es im Vertrag steht« so Kathleen Eggerling von der Interessenvertretung Connexx.av. Innerhalb der Gewerkschaft ver.di organisert Connexx.av die Medienschaffenden. Momentan kämpfen auch sie gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen durch Hartz IV. Nur wer in zwei Jahren zwölf Monate Beiträge zahlt, hat Anrecht auf Arbeitslosengeld I. Allen anderen droht zwischen den Filmen Hartz IV. Mit der Kampagne »5 statt 12« wollen sie erreichen, dass sich die Zahl der Beitragsmonate auf fünf verkürzt.

Auch die KinomitarbeiterInnen werden mit einem Preis bedacht. Seit Cinnemaxx 2004 als einer der größten Kinobetreiber aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten ist, kämpfen die rund 2200 Beschäftigten mit ver.di gegen Lohndumping. Während der Berlinale werden die Löhne von Kassiererinnen und Kartenabreißern zwar erhöht, den Rest des Jahres bezahlt Cinemaxx jedoch unter Tarif. Seit Januar 2008 gibt es wieder einen Tarifvertrag. Vereinbart wurde die Anhebung der Löhne von 6,50 Euro in acht Stufen auf 8 Euro. Immer wieder hatten die Beschäftigten mit Warnstreiks auf ihre Lage aufmerksam gemacht.

Deutlich wird an diesem Gala-Abend, wie unterschiedlich die Bedingungen tatsächlich sind. Unbeantwortet bleibt die Frage, wo jenseits der schlechten Bezahlung die Gemeinsamkeiten einer Rentnerin, die als Klofrau ihre Alterssicherung aufstockt, mit dem jungen Filmemacher liegen, der gut ausgebildet seine Ideen zu verwirklichen versucht, oder der Drehbuchautorin, die nebenbei in der Kneipe arbeitet, um über die Runden zu kommen?

Als 2003 in Frankreich die Bedingungen der Sozialversicherungen für Kulturschaffende verschlechtert werden sollten, machten die »Intermittens du Spectacle« mit spektakulären Aktionen darauf aufmerksam. Gemeinsam legten Licht- und Tontechniker, Bühnenbildner, Schauspieler, Theater- und Filmemacher einen Festivalsommer lahm und verteidigten erfolgreich die Sozialversicherungsansprüche. Auch sie werden hier mit einem »Superhelden«- Preis bedacht. Das Besondere: Sie schafften es, ihre Forderungen über den Teilbereich Kultur hinaus zu verankern. »Was wir verteidigen, verteidigen wir für alle«, lautet der Anspruch der »Intermittens du Spectacle« nach einem garantierten, ein würdevolles Leben ermöglichenden Einkommen, nicht nur im Kulturbereich.

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