Im Schatten von Buchenwald

Wie sich Weimar mit Zivilcourage gegen eine NPD-Demo zur Wehr setzt

  • Anke Engelmann, Weimar
  • Lesedauer: 3 Min.
Mehr als tausend Menschen behinderten am Sonnabend in Weimar mit Aktionen und Sitzblockaden eine Demonstration der rechtsextremen NPD.
Polizisten räumen eine Sitzblockade der Antifaschisten.
Polizisten räumen eine Sitzblockade der Antifaschisten.

»Aufstehen – Platz nehmen«, lautete die Parole am Samstag in Weimar. In dem thüringischen Städtchen hatte die rechtsextreme NPD eine Demonstration angemeldet – doch durch die Stadt kam sie nur auf Umwegen. Den ganzen Tag über verteilten sich Polizeiangaben zufolge mehr als tausend Demonstranten in der Stadt. Mit Sitzblockaden verhinderten sie, dass die Nazi-Demo die Weimarer Innenstadt durchquerte.

Bereits im Vorfeld hatten sich Weimars Stadtobere gegen Rechts positioniert. So hatte Oberbürgermeister Stefan Wolf zu einer »aktiven Beteiligung gegen den rechtsextremen Aufmarsch« aufgerufen und am Samstagvormittag zu einer öffentlichen Stadtratssitzung eingeladen. Thema: das »Vermächtnis von Buchenwald«. Der Tag war »ein voller Erfolg«, fasst Uwe Adler vom Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus zusammen. Das Konzept des »polizeilich-politischen Korridors« sei aufgegangen, habe deeskalierend gewirkt. Auch die Polizei zieht ein positives Resümee: Alles in allem sei der Tag relativ friedlich verlaufen, sogar die Sitzblockaden seien »von beiden Seiten gut gelöst worden«, sagt ein Polizeisprecher. Insgesamt wurden acht Demonstranten vorübergehend in Gewahrsam genommen.

Am Vormittag ist davon noch nichts zu spüren. Wo Nazis marschieren wollen, sorgt eine weiß- gekleidete Samba-Band für gute Stimmung, am anderen Ende der Straße posaunt ein Blechblasorchester. Ein buntes Völkchen macht sich auf der Straße breit, sitzt da, als ob Sommer wäre, steht, tanzt, wippt im Takt der Musik: Junge, Ältere, Kinder. Es gibt Luftballons, Seifenblasen, wer will, kann sich eine Suppe holen oder einen heißen Tee.

Unter den Zuhörenden steht Volkhardt Germer. Der langjährige frühere Oberbürgermeister sieht eine ganz besondere Verpflichtung der Stadt. »Wir leben hier im Schatten des Konzentrationslagers Buchenwald.« Zudem habe Weimar eine sehr ausgeprägte NS-Vergangenheit. An ein Massaker in den letzten Tagen des Krieges erinnert Heinz Koch von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Auf den Tag genau vor 63 Jahren haben die Faschisten 142 Männer und sieben Frauen ermordet, berichtet er von den Webichtopfern.

Am Stadion, nicht weit von den Klängen der Samba-Truppe, sammeln sich derweil die Rechten. Gegen Mittag sind es etwa 150, bis nachmittags wird ihre Zahl eigenen Angaben zufolge auf 400 anwachsen. Die Polizei spricht von 300 Teilnehmern. Die Nazis sind gut instruiert. Auf seiner Website hat ihnen der Thüringer NPD-Landesverband detaillierte Verhaltensregeln auf den Weg gegeben. Danach sollen sie nicht nur rechte Szenekleidung, Sonnenbrillen und Kapuzenshirts vermeiden und strafbare Tätowierungen verdecken, sondern auch während der Demo nicht rauchen und sich bei den »offiziellen Veranstaltungsteilen entsprechend verhalten« und »die Hände aus den Hosentaschen nehmen«. Die Webichtopfer sind der NPD egal. Man sei eine »zukunftsorientierte Partei«, so NPD-Kader Patrick Wieschke auf Nachfrage. »Wir befassen uns mit solchen Dingen nicht.«

Um 13.40 Uhr ist klar: Die NPD muss ihre Demoroute ändern. Plötzlich sitzen Leute auf der Straße, zehn, zwanzig, immer mehr, da wo sich von fern der Nazizug nähert. Immer mehr Uniformierte kommen, setzen ihre Helme auf und wieder ab. Lautsprecherdurchsagen der Polizei mit der Aufforderung, die Blockade aufzulösen. Polizisten ziehen den Fahrer des Antifa-Lautsprecherwagens vom Fahrersitz. Es ist der Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König. Drei Beamte schieben ihn bergauf, in einer Nebenstraße wird er abgetastet. Gegen ihn sei ein Stadtverbot ausgesprochen worden, wird später bekannt. Ein Polizeisprecher spricht lediglich von einem »Platzverweis«.

Es gehört Zivilcourage dazu, sich gegen Nazis zu wehren. Zurückhaltend erzählt Heinz Koch von seinen persönlichen Erfahrungen. 1944, als Jugendlicher, hat der heute 79-Jährige in einer »Meute« von antifaschistischen Jugendlichen gegen die Nazis gekämpft. Auch wenn es nur noch wenige Zeitzeugen gibt, ist ihm nicht bange, dass deren Wissen verloren geht. Jetzt müssten junge Menschen ran, »Zeugen, die die Zeugen erlebt haben«, sagt Koch. Deshalb will die VVN-BdA am kommenden Wochenende im KZ Buchenwald symbolisch den Staffelstab an die junge Generation weitergeben.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal