Militär löst kein Problem am Hindukusch

Reiner Braun über die Konferenz der Friedensbewegung in Hannover

  • Lesedauer: 5 Min.
Reiner Braun, einer der Organisatoren des Afghanistan-Kongresses, der an diesem Wochenende in Hannover tagt, ist Geschäftsführer der Internationalen Juristen gegen Atomwaffen und für zivile Konfliktlösungen (IALANA) und Sprecher der Koordination für Frieden. Für ND befragte ihn Detlef D. Pries.
Militär löst kein Problem am Hindukusch

ND: Der Afghanistan-Kongress in Hannover steht unter der Losung »Dem Frieden eine Chance – Truppen raus aus Afghanistan«. Nach dem Abzug der sowjetischen Armee war Afghanistan schon einmal ohne ausländische Truppen – mit verheerenden Folgen. Kann man diese Forderung also so unbedenklich stellen?
Braun: Unbedenklich kann man sie nicht stellen, weil die gesamte Situation in Afghanistan mehr als bedenklich ist. Die Frage ist, wie man dieser Situation entkommt. Da haben wir zwei Grundprinzipien. Das erste knüpft an das Römische Recht an: Niemand ist verpflichtet, mehr zu leisten, als er kann. Wenn wir das anerkennen, ist der Abzug aller Besatzungstruppen eine Voraussetzung, um den Friedensprozess zu fördern. Diese Besatzungstruppen sind im Lande mehr und mehr verhasst, sie sind der Grund für die weitere Kriegsführung, für Terroranschläge und Gegenterroranschläge. Sie verhindern die Umwidmung finanzieller Ressourcen für zivile Zwecke, sie behindern die Arbeit humanitärer Organisationen und sie dienen einem ganz anderen Zweck, als sie vorgeben: Sie dienen globalstrategischen imperialen Interessen. Das ist alles andere als friedensfördernd.

In weiten Teilen der Öffentlichkeit gelten die Truppen im Gegenteil als stabilierende Kraft.
Stabilisierend wirken sie durchaus: Sie stabilisieren die Macht von Kriegsfürsten, von Kriminellen, die davon profitieren, dass die Truppen da sind, die aber gleichzeitig eine emanzipatorische und friedliche Entwicklung in Afghanistan behindern. Eben deshalb kann und muss man die Forderung nach dem Truppenabzug stellen – nicht unbedenklich, sondern als eine Forderung, die sich der Auseinandersetzung stellen muss.

Hat denn die Friedensbewegung so etwas, was die Militärs »Exit-Strategie« nennen?
Es gibt in der Friedensbewegung sehr viele Überlegungen zur »Exit-Strategie«. Wir werden sie auf dem Kongress vorstellen. Zivile Konfliktprävention, zivile Konfliktvermeidung oder zivile Konfliktlösungsstrategien – alles dies wird bei uns durchaus kontrovers diskutiert, und diese Kontroverse wird den Kongress prägen. Die einigende Grundlage ist jedoch die Aussage, dass Militär in Afghanistan kein Problem löst, sondern – wie in den letzten 30 Jahren immer wieder bewiesen – die Probleme nur zuspitzt und verschärft.

Welche Alternativen bieten Sie den Afghanen?
Die Alternativen laufen darauf hinaus, dass erst einmal Luft zum Atmen geschaffen werden muss. Dafür ist der Abzug der Truppen erforderlich. Alternativen lassen sich gewiss nicht sofort realisieren, sie brauchen einen längeren Prozess. Voraussetzung ist die deutliche finanzielle Umschichtung vom Militärischen zum Zivilen. Dazu gehören die gezielte Förderung von Nichtregierungsorganisationen und zivilen Strukturen, eine dezentrale Entwicklungshilfe, die nicht nur Kabul erfasst und den Kabuler Moloch mit seinen Herrschaftsstrukturen fördert. Dazu gehören eine Konzentration auf den ländlichen Bereich, die Förderung der Landwirtschaft, und – ein ganz entscheidender Punkt – die Beendigung der neoliberalen Ausplünderung des Landes.

Dieses Land wird überschwemmt durch Billigprodukte aus den USA, Europa und China, wodurch die afghanische Infrastruktur und die soziale Versorgung des Landes vollständig zerstört wurden. Auch dieses Land bedarf eines gewissen Schutzes, um sich entwickeln zu können.

Haben Sie für dieses Konzept auch Verbündete in Afghanistan selbst?
Dieses Konzept hat Verbündete bis ins afghanische Parlament hinein, in den verschiedenen Institutionen im Lande, in Frauenorganisationen, in landwirtschaftlichen Genossenschaften. Wir stehen nicht alleine, sondern fühlen uns mit vielen Afghanen, übrigens auch mit den Afghanen, die in der Bundesrepublik Deutschland leben, sehr verbunden. Deswegen haben wir sechs afghanische Gäste auf unserem Kongress, davon kommen zwei direkt aus Afghanistan.

Sicher, wir haben nicht den Stein der Weisen gefunden, aber wir wollen Impulse geben und sie auf diesem Kongress vorstellen und diskutieren.

Mit wem außer den afghanischen Gästen wollen Sie debattieren?
Europa rutscht immer tiefer in diesen Sumpf des Krieges in Afghanistan hinein. Einerseits ist Europa zweifellos gefordert, um eine Lösung für das Land zu suchen, andererseits ist es aber auch Teil des Problems. Das zugespitzte Beispiel ist das Engagement Frankreichs: Nicolas Sarkozy hat Wahlkampf gemacht mit der Aussage, er würde die Truppen aus Afghanistan zurückführen. Nach seiner Wahl aber hat er das französische Kontingent um 1000 Mann verstärkt, was zu Widerspruch selbst in seiner eigenen Partei geführt hat.

Wir haben deswegen Vertreter aus den Staaten zu Gast, die mit Truppen in Afghanistan präsent sind, darunter eben Frankreich, aber auch Belgien, Schweden, Dänemark. Und wir erhoffen uns von diesem Kongress eine bessere internationale Vernetzung der Afghanistan-Friedensaktivitäten.

Die Bundesrepublik wird von ihren »Verbündeten« immer wieder gedrängt, den Bundeswehreinsatz über den bisherigen Umfang hinaus auszudehnen. Gerade hat der Bundestag mit breiter Mehrheit die Forderung der LINKEN abgelehnt, deutsche Fernmeldesoldaten aus dem südafghanischen Kandahar abzuziehen. Regelrechte Kampfeinsätze scheinen nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Glauben Sie, darauf noch irgendwelchen Einfluss nehmen zu können?
Wir hoffen vor allem, dass wir das Thema »deutsche Truppen in Afghanistan« stärker in die Öffentlichkeit bringen können. Nicht umsonst findet unser Kongress in Hannover statt. Hier ist die 1. Panzerdivision stationiert, fast so etwas wie die Speerspitze der deutschen Truppen in Afghanistan. Und wir hoffen, dass wir die Ablehnungsfront bei den im Herbst bevorstehenden Abstimmungen im Bundestag deutlich ausweiten können. Das Bauchgrummeln, das selbst viele Parlamentarier bis hinein ins konservative Lager befallen hat, müsste sich auch in realen Nein-Stimmen niederschlagen.

Dazu ist sicherlich mehr Druck aus der Öffentlichkeit erforderlich. Dem soll unser Kongress dienen, ebenso wie die geplanten Herbst-Aktionen einschließlich einer großen Demonstration in Berlin.

Weitere Informationen finden sich im Internet unter www.afghanistan-kongress.de

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