Immer wieder wächst das Gras

»Alle oder keiner« – Tribut-Kozert für Gerhard Gundermann in der Berliner Columbiahalle

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 4 Min.

Andreas Dresen, sonst Regisseur, an diesem Abend Sänger, sprach die Frage aus, die die ganze Zeit in der heißen Luft der proppenvollen Columbiahalle hing: Was für tolle Lieder hätte uns Gerhard Gundermann wohl noch geschenkt? Gundermann starb am 21. Juni 1998 an einem Hirnschlag. Genau zehn Jahre später trafen sich Weggefährten und Verehrer des großen ostdeutschen Songpoeten, um gemeinsam vier Stunden lang ein rauschendes Fest zu feiern. Erst als der längste Tag des Jahres endlich ganz in Dunkelheit gehüllt war, strömten die Menschen in die laue Berliner Nacht. Eine Nacht, die den nächsten Morgen schon in sich trug.

Das vom Plattenlabel Buschfunk initiierte Konzert »Alle oder keiner« war nur selten wehmütige Rückschau. Zu hören waren Lieder, die weiter im Werden sind, weil sie immer wieder, und immer neu, gesungen werden. Wenn Gundermann als Stimme des Umbruchs bezeichnet wird, der die Gefühlsschwingungen der Wendezeit wie kein anderer in Worte und Töne zu übersetzen wusste, ist das gewiss richtig. Aber seine Lieder sind mehr als der Soundtrack zu jener Zeit. Denn Umbruch ist immer und überall.

Was hat Andreas Dresen mit Gerhard Gundermann zu tun? Vielleicht dies: Mit Filmen wie »Halbe Treppe« oder »Sommer vorm Balkon« hat der Regisseur sein inniges Gespür für jene Ränder der Gesellschaft offenbart, in denen auch der Liedermacher heimisch war. Ihre Geistesverwandtschaft ist greifbar. Schüchtern beglückt griff Dresen in die Saiten seiner Gitarre und sang das Lied, das Gundermann für seine Tochter Linda geschrieben hat: »Ich hatte doch schon meinen Frieden, aber du bis so ne laute Braut/ Du hast mich wieder ausgeschnitten aus meiner dicken Haut.« Wo neues Leben entsteht, ist kein Platz für Resignation.

Freilich, wer wegen lupenreiner Live-Musik gekommen war, wird bei Dresens Auftritt die Nase gerümpft haben. Ein professioneller Gitarrist ist auch Axel Prahl nicht. Und doch gehörte der Moment, als der Schauspieler seinen derben Charme von einem Moment auf den anderen ablegte und mit beinahe brüchiger Stimme Gundermanns Lied »Vater« sang, zu den emotionalen Höhepunkten des Abends. Prahl, der Wessi, dem die Rolle des Loser-Ossis auf den Leib geschneidert ist, saß in sich versunken und sang den Song über verlorene Vergangenheit und bleibende Erinnerung. Ein ehrlicher, anrührender Moment.

Dass Gundermanns Musik nicht nur Ossi-Herzen anzurühren vermag, demonstrierte auch die Randgruppencombo aus Tübingen. Deren Gründer und Kopf Heiner Kondschak war vor Jahren zufällig auf ein Gundermann-Band gestoßen. Er war so begeistert von den Liedern, dass er am Tübinger Theater eine bunte Truppe um sich scharte, die Gundermanns Musik auch tief im Südwesten Deutschlands bekannt machte. Am Ende jedes Jahres trifft sich die Gruppe noch heute zum Konzert in Berlin, um Gundermann auf unbefangene Weise neu zu spielen. Proben sind selten möglich, das war in der Columbiahalle nicht zu überhören. Gestört hat das kaum einen – im Gegenteil, die Halle sang mit.

Begonnen hatte der Abend mit Tobias Morgenstern und Thomas Rühmann vom »Theater am Rand«. Mit musikalischen Anekdoten aus Gundermanns Leben tauchten sie nach dem Grund seines Schöpfertums und hielten einen Moment lang inne in jener glücklichen Sekunde zwischen Ost und West, zwischen Bergbau und Bühne, zwischen Leben und Tod. Großartig danach die Sängerin und Schauspielerin Winnie Böwe. Im rot gepunkteten Rüschenkleid, die Hand in die Hüfte gestemmt, entlockte sie Gundermanns Liedern ganz neue Töne. Rattenfängerschrill und Paradiesvogelzauberhaft, changierend zwischen Free Jazz und Chanson, riss sie das Publikum mit. Mit der Band Polkaholix eroberte dann satter Bläsersound die Bühne und kein Bein stand mehr still. Anschließend kam Toni Mahoni, urwüchsig berlinernd und mit seiner rauen Tom-Waits-Stimme ganz zweifellos »härter als der Rest«. Der Musiker gehört zu jener Generation, die durch ihre Eltern auf Gundermann gestoßen sind. Daran, dass ihm Gundis Lieder »ans Herz jewachsen sind«, ließ sein inbrünstiger Auftritt keinen Zweifel.

Schließlich Silly, deren neuer Frontfrau Anna Loos ein Tontechniker zunächst den Ton abgedreht hatte. Als er wieder da war, schwelgte das Publikum erst, dann tobte es in bester Feierlaune. Loos erinnerte an Gundermanns enge Zusammenarbeit mit Silly und Tamara Danz, betonte, wie er ihr half, dem »Mut« beim Texten immer aufs Neue zu finden. Nicht nur Gundermann und Danz leben nicht mehr, auch Silly-Schlagzeuger Herbert Junck und Thommy Hergert, Bassist in Gundermanns letzter Band, der Seilschaft, sind tot. Ihre Namen wurden auf der Leinwand hinter der Bühne eingeblendet, bevor Gundermanns Seilschaft nach zehn Jahren erstmals wieder gemeinsam die Bühne betrat und, unterstützt von Uwe Haßbecker an der Geige, glänzend wie eh und je musizierte. Multiinstrumentalist Andy Wieczorek und der Leipziger Liedermacher Christian Haase übernahmen den Gesang.

Ein Stück, schon im Zugabeblock, spielten die Musiker instrumental. Das Publikum summte, sang, andächtig beinahe, jeder für sich und doch alle zusammen, den Refrain: »Immer wieder wächst das Gras,/ klammert all die Wunden zu,/ manchmal stark und manchmal blass,/ so wie ich und du«.

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