Scharfe Kritik an EU aus Lateinamerika

Abschieberichtlinien stoßen auf Unverständnis

  • Tommy Ramm, Bogotá
  • Lesedauer: 3 Min.
Nachdem Hugo Chávez der EU nach der Verabschiedung neuer Abschieberichtlinien mit einem Ölboykott gedroht hatte, legen nun weitere lateinamerikanische Länder mit Kritik nach.

Der härtere Kurs der EU gegen illegale Einwanderer, der vom Europaparlament vergangene Woche durch verschärfte Abschieberichtlinien grünes Licht bekam, stößt in den meisten Ländern Lateinamerikas auf breite Ablehnung. Der ecuadorianische Präsident Rafael Correa erklärte am Wochenende die Regelverschärfung zur »Schande für Europa« und drohte der EU mit dem Aussetzen der Wirtschaftsverhandlungen mit der Andengemeinschaft. »Warum sollten wir mit einer Union reden, die Immigranten kriminalisiert«, so Correa, der der EU die Verletzung von Menschenrechten vorwarf. Die Verschärfung der Richtlinien sei auch ungerecht, weil die lateinamerikanischen Länder im Laufe des 19. Jahrhunderts und nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen Europäer aufgenommen hätten.

Ähnlich äußerte sich der peruanische Präsident Alan Garcia, der den gesamtamerikanischen Umgang mit Immigranten als bisher generös bezeichnete. »Niemandem ist damals bei den massiven Einwanderungen in den Sinn gekommen, Abschiebegesetze zu formulieren«, so Garcia, der als Reaktion auf die EU-Entscheidung Blockaden oder gar Grenzschließungen seines Landes ausschloss. Stattdessen will er so wie Bolivien im Juli diplomatische Missionen nach Europa entsenden, um eine »Humanisierung« der Abschieberegelung zu erreichen. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) rief Garcia auf, eine Vollversammlung einzuberufen, um das Thema zu analysieren und »um sich Gehör zu verschaffen«.

Das schaffte dieser Tage bereits Venezuelas Präsident Hugo Chávez. Er drohte der EU unverhohlen mit einem Ölboykott, sollten die Länder die neuen Richtlinien gegen illegale Einwanderer tatsächlich anwenden. Während Nicaraguas Präsident Daniel Ortega die Maßnahmen der EU als »terroristisch« brandmarkte, rief der bolivianische Präsident Evo Morales die Europäer auf, ihre Hand aufs Herz zu legen und die Geschichte zu überprüfen. »Obwohl man uns sabotiert, beraubt, erniedrigt, gehasst und ausgebeutet hat, wurde in den letzten 500 Jahren niemals eine Entscheidung für Abschiebungen gefasst«, so Morales, der das Votum der EU als Aggression gegen das Leben und die Menschheit kritisierte.

Um die Wogen zu glätten, bemühte sich eine EU-Delegation in Peru um Aufklärung. Delegationschef Antonio Cardoso äußerte, dass die Maßnahmen positive Effekte auf die in Europa lebenden legalen Ausländer haben werden, da diese gleichgestellt mit europäischen Bürgern beruflichen Tätigkeiten nachgehen könnten. Eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Europa und der Andengemeinschaft sehe er nicht, da »das Regelpaket nicht von heute auf morgen in Kraft tritt und erst genau analysiert werden muss«.

Wie viele Millionen Lateinamerikaner derzeit in Europa leben, ist schwer zu sagen. Doch wie wichtig diese für die einzelnen Herkunftsländer wirtschaftlich sind, zeigen die jährlichen Geldüberweisungen, von denen das Überleben tausender Menschen auf dem Kontinent abhängt. Laut Zahlen der Interamerikanischen Entwicklungsbank wurden im letzten Jahr 8,4 Milliarden US-Dollar von den Einwanderern nach Kolumbien, Bolivien und Ecuador überwiesen. Besonders für das kleine Ecuador gelten die Zuwendungen von im Ausland lebenden Staatsbürgern als eine der wichtigsten Einnahmequellen des Landes. Deren forcierte Ausweisung würde spürbare wirtschaftliche und soziale Folgen haben.

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