Wisente in freier Wildbahn

In einem Naturpark auf Usedom leben seit einigen Jahren wieder Exemplare des europäischen Bisons

  • Jochen Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Wisente kehren nach Deutschland zurück. Fast 650 Jahre nachdem das letzte frei lebende Exemplar der Gattung in der Region erlegt wurde, hat man sie vor vier Jahren auf Usedom wieder angesiedelt. Doch bald schon sollen sie auch anderswo in Deutschland wieder grasen dürfen.

Schnaufend trotten die Wisente im Prätenower Gatter. Der Bulle Pociotek senkt seinen massigen Kopf und schnauft. Mit seinen Nüstern wirbelt er Laub und Staub auf. Erst als er die Stimme seines Herrn vernimmt, beruhigt sich das zottige braune Tier ein wenig. Dabei hätte es der über 800 Kilogramm schwere und mit 1,80 Meter Schulterhöhe gewaltige Geselle gar nicht nötig, uns so ungnädig zu empfangen. Der Wisent ist schließlich das Wildtier des Jahres 2008.

»Seit etwa vier Jahren leben die Tiere wieder hier auf der Insel Usedom«, erzählt uns Dirk Weichbrodt, der im Auftrage des Naturparks der Insel gewissermaßen den Hut für das sechs Hektar große Gehege in der Mellenthiner Heide auf hat. »Nahezu sechseinhalb Jahrhunderte nachdem das letzte frei lebende Wisent in der Region erlegt wurde, kehrte die Art auf das Eiland zurück.« Wie die Tiere zurück auf die Insel fanden? Nebenan im polnischen Nationalpark Wollin, oder genauer gesagt bei Misdroy gibt es schon seit Jahrzehnten Wisente. Dirk Weichbrodts Biologielehrer Claus Schönert, ein engagierter Naturschützer, weilte 1979 bei den Wolliner Kollegen. Beim Austausch von manchem Für und Wider über die wunderschöne Landschaft entlang der Ostsee boten die polnischen ihrem deutschen Kollegen zwei Wisente an. Als Geschenk sollte der Biologe sie erhalten. Liebend gern hätte der sie auch mit über die Grenze genommen.

Aber ehe das geklappt hätte, wäre eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gekrochen. Bürokratische Hürden verhinderten also seinerzeit diesen Dienst an der Natur. 20 Jahre später organisierten Schönerts Schüler eine Exkursion auf die andere Seite der Grenze. Und beide, sowohl Schönert als auch Weichbrodt, erfuhren hocherfreut, dass das Angebot von vor zwei Jahrzehnten nach wie vor galt. Zwar dauerte es dann auch noch geschlagene fünf Jahre, bevor ihr Traum Wirklichkeit wurde. Mit Hilfe der Pomerania und dem Engagement von Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus schafften die zotteligen Dunkelbraunen schließlich den Sprung über die Oder.

Ende Juni 2004 trafen vier Wisente, darunter drei weibliche und ein männliches, in Prätenow ein. Und dass Usedom zumindest für diese Wildtierart fruchtbarer Boden ist, bestätigt die Geburt des ersten Nachwuchses. Denn ein Jahr nach der Ansiedlung der Herde brachte die Kuh Powizyta ein Kalb zur Welt, das auf den Namen Usedomka getauft wurde. »Damit ist die Insel wieder ins internationale Zuchtbuch, das in Polen geführt wird, aufgenommen«, schildert Dirk Weichbrodt. Allerdings stößt das Prätenower Revier mit vier Jungtieren, also mit acht Wisenten insgesamt, an seine Grenzen. Daher rechnet Weichbrodt damit, dass spätestens Anfang kommenden Jahres zwei Jungtiere auf Reisen gehen müssen.

Das Fragezeichen steht indes hinter dem Wohin? Bislang war man davon ausgegangen, dass die Tiere in einen wild lebenden Bestand in der pommerschen Schweiz entlassen werden. Da aber 1900 Wisente der weltweit 3500 lebenden in Polen, Litauen, Weißrussland und Russland zu Hause sind, dort also die mit Abstand größten Populationen vorhanden sind, entschied sich die Warschauer Professorin Wanda Olech offenbar dafür, die Prätenower Tiere irgendwo in Westdeutschland anzusiedeln. Die Dame aus Polens Hauptstadt ist nämlich die oberste Wisentzüchterin auf unserem Erdball.

Ihr Umdenken hängt unter anderem auch mit den intensiven Bestrebungen zusammen, Europas größten und schwersten Landsäuger schon bald wieder in freier Wildbahn leben zu lassen. Naturschützer haben für das Vorhaben gleich mehrere Projekte in der Hinterhand. An erster Stelle steht da wohl ein 4300 Hektar großes Areal im nordrhein-westfälischen Rothaargebirge. Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg will dort spätestens ab 2009 zwölf Wisente in die Freiheit entlassen. Zu diesem Zweck verbündete sich der engagierte Naturschützer mit dem Verein Taurus-Naturentwicklung in Jena, der sich schon seit Langem für die Rückkehr großer Wildtiere nach Deutschland einsetzt. Zudem sprachen sich nahezu drei Viertel der Einwohner der Region für die Ansiedlung dieser Tierart aus, weil sie sich dadurch einen weiteren Aufschwung des Tourismus in ihrer Umgebung versprechen.

In der Lieberoser Heide sollen die Wisente nach dem Willen von Naturliebhabern ebenfalls wieder eine Heimat finden. Auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz soll schon demnächst mit dem Bau eines 20 Hektar großen Geheges begonnen werden. »Neben der touristischen Anziehungskraft ist das Projekt vor allem für den Arten- und Biotopschutz von großer Bedeutung«, unterstrich Christian Hähnlein, Vorsitzender des Fördervereins Nationalpark Lieberoser Heide. Auch in der Döberitzer Heide bei Wustermark im Havelland könnten ab kommendem Jahr Wisente leben. Nach Ansicht von Experten fänden die europäischen Bisons hier auf eingezäunten 3000 Hektar paradiesische Bedingungen. Gegenwärtig leben dort in einem von der Sielmann-Stiftung initiierten Schaugehege neun Tiere. Im vergangenen Sommer gab es auch hier bereits Nachwuchs.

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