»Last aufgeladen, wo andere vergaßen«

Nach über 30 Jahren verlässt Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau die Einrichtung der Erinnerung

  • Hans Canjé
  • Lesedauer: 3 Min.
33 Jahre lang leitete Barbara Distel die KZ-Gedenkstätte Dachau vor den Toren Münchens. Am 31. Juli geht sie in den Ruhestand.

Die studierte Bibliothekswissenschaftlerin hatte schon vor einem zweijährigen Aufenthalt in den USA in der 1965 eingeweihten Gedenkstätte gearbeitet. 1975 wurde ihr die Leitung übertragen. In den Jahren ihrer Tätigkeit wurde dieser Ort, an dem in den Jahren der faschistischen Herrschaft mehr als 43 000 Menschen ermordet wurden, mit jährlich 800 000 Besuchern zur meistbesuchten deutschen KZ-Gedenkstätte. Nicht zuletzt dank ihrer Tätigkeit steht dieser »frühe Ort der Diktatur für den politischen Widerstand gegen den Terror«, so zu lesen in einer Erklärung von Seiten des UNO-Generalsekretariats.

Am vergangenen Wochenende wurde auf Veranstaltungen in Dachau und München ihr Lebenswerk gewürdigt, über das die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, wohl die prägnanteste Charakterisierung gefunden hat: »Sie hat sich die Last der Vergangenheit aufgeladen, wo andere verdrängt oder vergessen haben«.

Diese gesamtgesellschaftliche Amnesie treibt sie weiter um. In einem bilanzierenden Gespräch zum bevorstehenden Ausscheiden äußerte sie nicht nur ihre Besorgnis über die Entwicklung des Rechtsextremismus mit Hinweis auf dessen Einzug in bundesdeutsche Parlamente. Es stelle sich zudem die Frage, »was unsere Bemühungen bewirken und inwieweit man eine Niederlage eingestehen muss, wenn man einen großen Teil der Jugend nicht mehr erreicht oder sogar das Gegenteil bewirkt«.

Was kann Gedenkstättenarbeit bewirken, so ihre Frage, »wenn die Politik in Sonntagsrede zwar stets das ›Nie wieder!‹ und ›Niemals vergessen!‹ betont, aber beim Geld für Personalausgaben knausert?« In Bayern wurde und wird nicht nur beim Geld geknausert. Beschämend die Tatsache, dass mit Edmund Stoiber (CSU) erstmals im Mai 1995, 40 Jahre nach der Befreiung des Lagers und 30 Jahre nach Einweihung der Gedenkstätte, ein bayerischer Ministerpräsident an einer Veranstaltung auf dem Lagergelände teilgenommen hat. Ihre Auseinandersetzungen mit den CSU-dominierten kommunalen Behörden, etwa um die Errichtung von Erinnerungsstätten für die Opfer des Todesmarsches von Dachau in den Süden Bayerns oder um die Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte, haben sie vielerorts zu einer oft unbequemen Mahnerin werden lassen.

Die oft aufreibende Arbeit »vor Ort« nahm Barbara Distel jedoch nicht die Kraft für eine rege publizistische und wissenschaftliche Arbeit, die sich vor allem in den seit 1985 gemeinsam mit dem Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung herausgegebenen »Dachau Heften – Studien und Dokumentation zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager« widerspiegelt. Ende Mai erschien von beiden Autoren im Beck-Verlag der siebte und letzte Band der je 600 Seiten umfassenden Dokumentation »Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager«, in der alle Konzentrations- und Vernichtungslager samt ihrer Außenlager erfasst sind.

»Distel im Ruhestand, das kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen«, bemerkt die »Frankfurter Rundschau«. Sie selbst wohl auch noch nicht. Ihrem Wunsch auf Vertragsverlängerung kam der Stiftungsrat der Stiftung Bayerische Gedenkstätten jedoch nicht nach. Die deutschen und ausländischen wissenschaftlichen Gremien, in die Barbara Distel berufen wurde, werden ob ihrer nun »freien Kapazitäten« nicht traurig sein.

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