Guerilla-Gärtner erobern die Stadt

Pflanzen, Jäten und Ernten auf Brachen boomt – nicht nur in Berlin

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Bürgerpark Laskerwiesen in Friedrichshain.
Bürgerpark Laskerwiesen in Friedrichshain.

»Eine andere Welt ist pflanzbar – Rosa Rose bleibt!« Trotzig prangt dieser Spruch an der Brandmauer des Hauses Kinzigstraße 9 in Berlin-Friedrichshain. Die Realität sieht anders aus: Wo es bis Mai grünte und blühte, wo Nachbarschaftsfeste gefeiert wurden und Kinder tobten, gähnt nun eine große Grube, daneben erhebt sich ein Baukran. Nur ein kleiner Teil des wohl bekanntesten Nachbarschaftsgartens Deutschlands ist noch erhalten, seitdem der Besitzer des Grundstücks diesen räumen ließ. Jetzt wird dort ein Mehrfamilienhaus gebaut.

»Ein gutes Beispiel für die gesellschaftlichen Widersprüche«, findet Frauke Hehl, die als Anwohnerin jahrelang half, aus der ehemaligen Brache eine Oase für die ganze Nachbarschaft zu machen. »Woanders wird bürgerliches Engagement mit viel Geld gefördert, und wo es ganz von selbst entsteht, tut man nichts, um es zu erhalten.«

Aber Gärtnern ist »in«. Berlin gilt als Hauptstadt der neuen Lust an der Gartenarbeit. Überall entstehen legal, halblegal oder illegal Gärten. Die Flächen um die Bäume am Straßenrand, die sogenannten Baumscheiben, werden verschönert, Anwohnerinitiativen wollen neue Grünflächen aktiv mitgestalten. 17 davon gibt es im Stadtgebiet. In den Bezirken Kreuzberg, Mitte und Friedrichshain, aber auch in Marzahn und Lichtenberg bauen Menschen aus aller Welt zusammen Gemüse an, säen, gießen und ernten; so kommt es nicht nur zum Kontakt zwischen Deutschen und Migranten, sondern auch, wie im Kreuzberger Generationengarten, zwischen Menschen unterschiedlichen Alters.

Während diese Gärten mit Genehmigung der Behörden unter der Schirmherrschaft der Stiftung Interkultur angelegt werden, ist die Verschönerung der Baumscheiben eigentlich nicht erlaubt, die Berliner Ämter jedoch fördern das Engagement sogar mit öffentlichen Geldern. Die meisten dieser Mini-Gärtchen aber werden mit Privatgeldern bepflanzt, oft von Gastronomen und Ladenbesitzern. So wie in der Friedrichshainer Gärtnerstraße: Seit der Eröffnung des »Kurhaus Korsakov« an der Ecke zur Grünberger Straße, die mit der Einzäunung und Begrünung der davor liegenden Baumscheibe einherging, zogen die Nachbarn nach. »Erde, Pflanzen, Geräte – da kommen schnell 120 Euro zusammen«, erzählt Yvonne Franzke, Inhaberin eines Cafés, die »ihre« Baumscheibe mit Geranien, Margeriten und Kirschlorbeer verschönerte und dafür von stinkendem Hundekot verschont bleibt.

»Mehr Lebensqualität in der Großstadt« fordert Julia Jahnke aus der Gruppe »Gartenpiraten«, die eine Masterarbeit zum Thema geschrieben hat und sich ebenfalls für die »Rosa Rose« einsetzt. Auch Frauke Hehl hat schon im Morgengrauen zusammen mit Gleichgesinnten Blumen auf dem Mittelstreifen der Frankfurter Allee und anderswo gepflanzt. Ihr Hauptengagement aber richtet sich derzeit auf den Bürgergarten Laskerwiesen.

Das 3500 Quadratmeter große Areal hinter dem Ostkreuz in Friedrichshain ist ein gutes Beispiel für eine gelungene Kooperation zwischen Anwohnern und Bezirk: Ausgleichszahlungen aus dem Verkauf eines nahe gelegenen Grundstücks an einen Discounter wurden für die Anlage eines Parks genutzt, die Pläne mit den Anwohnern abgestimmt. Diese gründeten den Verein »Bürgerpark Laskerwiesen« und verpflichteten sich zur Pflege. Der zum Teil kontaminierte Boden wurde ausgetauscht, Hügel und Teichgrube wurden modelliert, Wege und ein Bolzplatz angelegt. Rund 40 Vereinsmitglieder – Studenten, Familien, Rentner – kümmern sich um die Gemeinschaftsfläche. Auf den 35 Parzellen darf jeder anlegen, was er will. Viele pflanzen Essbares wie Kräuter, Tomaten oder Kartoffeln, auf anderen Beeten leuchten Sonnenblumen oder Rosen. »Das sind eben Experimentierfelder, Flächen, die keinem Produktionszwang unterliegen«, erklärt Vereinsvorsitzende Frauke Hehl. Ihr ist es ein Anliegen, ihre Umwelt mitzugestalten und das nicht Behörden und Investoren zu überlassen.

»Guerilla Gardening« ist nur in Europa eine relativ neue Bewegung. In New York rief bereits 1973 die Künstlerin Liz Christy die »Grünen Guerillas« ins Leben, um mit Pflanzen die Betonwüste zu verschönern, so die Kriminalitätsrate zu senken und ein friedlicheres Miteinander zu schaffen. In Europa hat die Popularität des geheimen Säens, Pflanzens und Jätens seit einigen Jahren enorm zugenommen, berichten Insider. Beliebt ist vor allem das Werfen von »Samenbomben« aus Erde und Blumensamen auf Brachflächen und Verkehrsinseln. Auch in Magdeburg und anderen deutschen Städten sind die urbanen Gärtner auf dem Vormarsch. Saatgut und Pflanzen spenden manche Blumenläden, die auch mit Tipps helfen.

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