Segeln gegen die Blockade

Friedensaktivisten starten Hilfsaktion für Menschen im Gazastreifen

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 4 Min.
60 Friedensaktivisten aus aller Welt starten am heutigen Dienstag mit zwei Booten von der Mittelmeerinsel Zypern in Richtung Gaza, um die israelische Belagerung des Gazastreifens zu durchbrechen. Unter ihnen ist die 83-jährige Hedy Epstein, die ihre Familie im Vernichtungslager Auschwitz verlor.

»Die Welt ist klein geworden. Auch wenn ich heute in den USA wohne, sind die Leute in Gaza meine Nachbarn«, sagt Hedy Epstein. »Ich kann nicht wegschauen, ich bin verantwortlich das zu tun, was ich kann, um die Leute aus Gaza zu unterstützen, damit sie ein menschenwürdiges Leben führen können.« Hedy Epstein ist mit ihren 83 Jahren die älteste Teilnehmerin einer Gruppe von 60 Friedensaktivisten aus aller Welt, die heute von Zypern aus in Richtung Gaza aufbrechen werden.

»Free Gaza«, »Befreit Gaza« ist das Motto der Gruppe, der Männer und Frauen aus 15 Staaten angehören. Ziel ist es, die Belagerung des Gazastreifens auf dem Wasserweg zu durchbrechen und die Seegrenze nach Gaza zu öffnen. Unter den Passagieren sind Geistliche, Professoren, Anwälte, Ärzte, Ingenieure und Menschenrechtsaktivisten. Viele von ihnen sind Palästinenser mit doppelter Staatsangehörigkeit, die ihre Verwandten und Familien in Gaza seit Jahren nicht gesehen haben, weil sie keine Einreisegenehmigung erhalten und ihre Angehörigen nicht ausreisen dürfen. Die Teilnehmer tragen ihre Kosten, soweit sie können, selbst. Darüber hinaus wird das Projekt vom »Carter Center« und von Erzbischof Desmond Tutu unterstützt sowie von mehr als 70 weiteren Organisationen und Einzelpersonen.

Unter den Friedensaktivisten sind zwei Deutsche: Hedy Epstein und Edith Lutz (59) von der interreligiösen Organisation Abrahams Töchter. Während Edith Lutz mit ihrer Familie in der Nähe von Köln lebt, verließ Hedy Epstein Deutschland 1939 mit einem Kindertransport nach Großbritannien, von wo sie schließlich in die USA gelangte. Ihre Familie starb im Vernichtungslager Auschwitz. Am 15. August wird sie 84 Jahre alt. Sollte der Geburtstag in diesem Jahr in Gaza gefeiert werden, »wird das für mich eine besondere Ehre sein.«

Man werde ausschließlich in internationalen Gewässern und dann in palästinensischen Gewässern segeln, erklärt Hedy Epstein. Israel solle sich nicht einmischen. Den Palästinensern in Gaza möchte sie zeigen, dass diese nicht allein sind: »Wir wollen in den geschlossenen Hafen (von Gaza) einlaufen, wollen mit den Fischern auf Fischfang gehen, in Krankenhäusern und Schulen helfen. Wir wollen aber auch die Welt daran erinnern, dass wir nicht tatenlos zusehen werden, wie 1,5 Millionen Menschen durch Hunger und Krankheit allmählich sterben«, sagt sie. Die US-Administration will Hedy Epstein auffordern »Israel nicht mehr blind zu unterstützen, denn damit unterstützen sie auch die Zerstörung der Palästinenser.«

Ihr Engagement für Menschenrechte sei es, was sie aus dem Holocaust gelernt hat: »Ich kann nicht stumm zuschauen, wenn Menschen leiden«, sagt Hedy Epstein und verweist auf die Stelle im Alten Testament, wo Leviticus die Juden aufforderte, »nicht stumm zu bleiben, wenn andere ermordet oder vertrieben werden. Das ist mein Bekenntnis. Das ist es, warum ich mich an dieser Aktion beteilige.«

Auch für Edith Lutz ist das »jüdische Solidaritätsgesetz des Leviticus« das Gebot der Stunde. »Es verpflichtet uns zur Solidarität mit den Leidenden, es bedeutet: Liebe deinen Nächsten.« Seit langem habe sie versucht, für ihren Verein Abrahams Töchter, in dem Juden, Christen und Muslime gemeinsam den Kindern in Gaza helfen, eine Einreisegenehmigung nach Gaza zu erhalten. Ohne Erfolg. Die Fahrt mit dem Schiff nach Gaza sei für sie die letzte Möglichkeit, humanitäre Hilfsgüter in das Gebiet zu bringen: Knapp 200 Hörgeräte und Musikinstrumente, die bei der Musiktherapie in Schulen und Kindergärten eingesetzt werden sollen. »Sollten uns die Israelis nicht durchlassen, werden wir 5000 weiße Luftballons steigen lassen. Doch wir werden lange ausharren. Unser Proviant reicht für zehn Tage.«

In Deutschland habe man »Angst, Israel zu kritisieren«, sagt Edith Lutz. »Doch wenn wir Israel helfen wollen, müssen wir dazu beitragen, dass es seine Politik ändert. Die führt in einen Abgrund.« Die Bevölkerung verstehe das, doch es sei schwer, die Presse in Deutschland zu erreichen, so Edith Lutz weiter. Wer noch nicht dort gewesen sei, wer nicht mit eigenen Augen die unwürdige Situation gesehen habe, in der die Palästinenser leben müssen, der könne nicht vorurteilsfrei berichten. Ihre Botschaft an die Deutschen sei, sich von Schuldgefühlen frei zu machen, »die sie hindern, das Richtige zu tun«, sagt Edith Lutz. »Wir alle können gegen das Unrecht sprechen, schreiben und aktiv werden. Wenn wir es aber weiter tolerieren, dann stecken wir in der Tat in Schuld.«

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