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  • Heute beginnt die »Woche des Grundeinkommens« in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Wie viel braucht der Mensch zum Leben?

Günter Sölken vom »Netzwerk Grundeinkommen« über die Zukunft der Existenzsicherung

  • Lesedauer: 6 Min.
Die Woche des Grundeinkommens in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist eine Aktion zur Werbung für die Idee einer staatlichen Leistung für alle Bürger. Günter Sölken ist seit 2004 Mitglied im SprecherInnenkreis des Netzwerks Grundeinkommen. Mit ihm sprach ND-Mitarbeiter Fabian Lambeck.

ND: Was soll die »Woche des Grundeinkommens« bewirken?
Sölken: Wir sind der Meinung, dass dieses Thema von unten wachsen muss. Das Grundeinkommen muss auch in der Bevölkerung zum Thema werden. Das kann man den Parteien nicht alleine überlassen, auch die Diskussion in der Vergangenheit wurde immer von einzelnen Personen angestoßen. Etwa vom thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus oder Götz Werner, dem ehemaligen Chef der Drogeriekette dm. Die vielen, die sich sonst für ein Grundeinkommen einsetzen, werden mit ihren Argumenten einfach nicht wahrgenommen. Wir brauchen also eine andere Öffentlichkeit. Deshalb die Woche des Grundeinkommens. Die Resonanz ist groß: Allein in Deutschland wird es in 26 Städten über 60 Veranstaltungen geben. In Österreich kommen einige Städte hinzu und auch in der Schweiz.

Was versprechen Sie sich von einem solchen Grundeinkommen?
Wir müssen sehen, wohin sich die Welt entwickelt. Automatisierung und Rationalisierung – das sind weltweit ablaufende Prozesse, die man inzwischen zu bekämpfen versucht, weil man denkt, dass die Menschen bald kein Auskommen mehr hätten und die Arbeitslosigkeit rapide zunehmen würde. Wir sagen erst einmal: Es ist eigentlich ganz gut, dass die Maschinen für uns die Arbeit erledigen. Aber wir müssen aus diesem Prozess etwas Produktives machen. Wenn wir uns die Beschäftigungssituation und -entwicklung ansehen, dann gibt es Prognosen – auch von konservativer Seite –, die sagen, dass wir am Ende des Jahrhunderts mit 20 Prozent der Weltbevölkerung in Erwerbsarbeit auskommen und dabei produktiver sein werden als heute.

Man muss einfach überlegen, wie das Leben anders geordnet werden könnte. Nicht nur das Wirtschaftsleben, auch das menschliche Leben insgesamt. Wir haben Kreativitätspotenziale, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Die muss man zum Leben erwecken. Das geht nur auf der Basis gesicherter wirtschaftlicher Verhältnisse, und dafür ist ein Grundeinkommen da.

Was unterscheidet ein Grundeinkommen beispielsweise von Sozialtransfers à la Hartz IV?
Hartz IV ist, wie Götz Werner einmal sagte, offener Strafvollzug. Ich würde sagen, es ist vor allem eine Tätigkeitsbremse. Wer heute Hartz IV bezieht, der hat kaum genug zum Leben, aber zu viel zum Sterben. Auf der anderen Seite hat man doch gar keine Möglichkeit, irgendwie tätig zu werden. Da kommen ja gleich das Finanzamt oder die Arbeitsagentur und halten die Hand auf. So muss man 80 Prozent des Dazuverdienten wieder abführen. Da muss man sich wirklich überlegen, ob man das Risiko einer Zusatzbeschäftigung eingeht.

Wir haben außerdem einen absolut desolaten Arbeitsmarkt. Es werden immer schlechtere Löhne gezahlt, dadurch wird das Sozialversicherungsmodell ausgehöhlt. Auch die Zunahme kurzfristiger Beschäftigungen und prekärer Arbeitsbedingungen untergraben Arbeitnehmerrechte, die Generationen vor uns erstritten haben. Da muss ein Gegenentwurf her. Hartz IV ist in gewisser Weise der Gipfel dessen, was wir an Fehlentwicklungen haben.

Die Höhe des Grundeinkommens ist umstritten. Wie viel braucht denn der Mensch zum Leben?
Es geht ja nicht nur darum, dass man leben kann. Es gibt ja durchaus konservative Wissenschaftler – wie gerade ein Professor in Chemnitz vorgeführt hat –, die sagen, Hartz IV sei viel zu hoch. Um leben zu können, würde es ja vollkommen ausreichen, wenn sie einen Betrag unterhalb von 200 Euro hätten. Da kann einem wirklich Angst und Bange werden, wenn man so etwas hört. Ich denke, man muss anständig davon leben können. Dazu gehört auch die Freiheit, eine angebotene, schlecht bezahlte Arbeit abzulehnen. Deshalb sage ich: Der Betrag soll oberhalb der Armutsgrenze liegen, also mindestens bei 1000 Euro.

Besteht überhaupt noch ein Anreiz zur Erwerbsarbeit, wenn das Grundeinkommen gezahlt wird?
Ich denke, der Anreiz kommt in erster Linie aus den Menschen selbst. Es wird oft die komische Philosophie vertreten, dass Menschen zur Arbeit getrieben werden müssten. Ich denke, die meisten Leute werden von sich selbst heraus tätig. Dass es Leute gibt, die lieber auf der Couch liegen, das wird immer so bleiben. Aber das kann nicht der Fokus sein.

Eine bedingungslose Grundlage würde es vielen, die heute durch widersinnige Gesetze zwangsuntätig sind, ermöglichen, ihre Kräfte und Potenziale einzubringen – in die Gesellschaft und auch in die Wirtschaft.

Wie reagiert die Politik auf Ihre Pläne?
Es gibt Diskussionen von der LINKEN bis zur CDU. Interesse ist also vorhanden. Von der Politik gehen aber schon lange keine Kreativitätsimpulse mehr aus. Sie reagiert auf gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Druck und ist dann auch noch zu kurzfristig orientiert. Wir müssen uns wieder daran erinnern, was eine Demokratie ausmacht. Die Willensbildung geht vom Volk aus. Das heißt, immer auch von unten. Von dort sollten nicht nur die Forderungen, sondern auch die Konzepte kommen. Deshalb der basisdemokratische Ansatz bei der »Woche des Grundeinkommens«. Wir bereiten gerade einen Kongress vor, der vom 24. bis zum 26. Oktober in der Berliner Humboldt-Uni stattfinden wird. Dort werden Wissenschaftler und Politiker aus Deutschland, Österreich sowie der Schweiz zu Wort kommen. Das Ganze wird mit ungefähr 40 Workshops und diversen Podien ein Ideen-Feuerwerk für das Grundeinkommen.

Kritiker behaupten, das Grundeinkommen sei nicht finanzierbar.
Es gibt Konzepte, die durchgerechnet sind. Dazu gehört das Konzept der LINKEN, aber auch das von Dieter Althaus, das einen ganz anderen Ansatz hat und natürlich viel zu niedrig ist. Unser eigentliches Problem ist, dass es zu viel Geld in der Welt gibt. Dieses Geld, das immer wieder versucht, mehr zu werden, sucht Anlagemöglichkeiten. Mit dem vagabundierenden Kapital wird viel Unheil angerichtet – umwelt- wie friedenspolitisch. Wir wollen, dass Geld vernünftig angelegt wird. Die beste Anlagemöglichkeit wäre, es den Menschen zu geben – in Form eines Grundeinkommens. Dazu ist eine andere Steuerpolitik notwendig. Was heute auf den Finanzmärkten geschieht, ist absolut irrational und darf so nicht weitergehen.


Aktionswoche

»Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen«, dieser dem Apostel Paulus zugeschriebene Satz verliert zusehends den Anspruch auf Gültigkeit. In einer technisierten Welt spielt die klassische Erwerbsarbeit eine immer geringere Rolle. Eine hochproduktive Volkswirtschaft setzt auf Automation – das kostet Arbeitsplätze, die auch der Dienstleistungssektor nicht vollständig ersetzen kann. Allein in Deutschland hat die Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigenstunde im Zeitraum von 1991 bis 2006 um 32,4 Prozent zugenommen.

Angesichts dieser dramatischen Veränderungen scheint die aktuelle Diskussion um eine mögliche Vollbeschäftigung jeglicher Grundlage zu entbehren. Viel realistischer wirkt das Konzept eines »bedingungslosen Grundeinkommens«. Demnach soll jeder Bürger vom Staat eine gesetzlich festgelegte – und für jeden Bürger gleiche – finanzielle Zuwendung erhalten. Die Höhe dieser Transferzahlung soll existenzsichernd sein und ohne Gegenleistung erbracht werden.

Die heute beginnende »Woche des Grundeinkommens« soll für diese Idee einer bedingungslosen Existenzsicherung werben. Organisiert werden die bundesweit über 60 Veranstaltungen vom überparteilichen »Netzwerk Grundeinkommen«. So vielfältig wie die Bewegung ist auch das Programm: Sozialdemokraten in Köln, der Unternehmer Götz Werner in Lindau, Kabarettisten und Polit-Profis in Berlin, Theologen in Ulm, Utopienstreiter in Hamburg oder Montags-Demomonstranten in Göttingen – Aktionen, Zukunftsworkshops, kreative Events oder Vorträge sollen die Idee publik machen.

Mittlerweile hat sich auch die Politik des Themas angenommen. Die LINKE verfügt über eine Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen, auch bei den Grünen, der CDU und sogar der FDP kursieren entsprechende Konzepte. Nur die Sozialdemokraten halten das Grundeinkommen für Teufelszeug und lehnen die »Stilllegungsprämie« kategorisch ab.
Fabian Lambeck

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