Abschiebung, Residenzpflicht, Isolation

Karawane der Flüchtlinge veranstaltet Aktionskonferenz in Thüringen

  • Anke Engelmann, Weimar
  • Lesedauer: 3 Min.
Am vergangenen Wochenende feierte die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen mit einer Aktionskonferenz in Thüringen ihren zehnten Geburtstag. Zeit für Austausch und Aktionen, Seminare und Konzerte.
Wie ein Gefängnis: das Flüchtlingswohnheim in Apolda
Wie ein Gefängnis: das Flüchtlingswohnheim in Apolda

»Hallo, the Caravan is here«, »Hallo, die Karawane ist da«, begrüßt afrikanischer Gesang die Weimarer auf dem Goetheplatz. »Wir haben einiges geschafft: Leute aus Abschiebeknästen rausgeholt, Lager geschlossen«, schallt es in Richtung Frauenplan. Vom Bratwurststand schauen Männer misstrauisch herüber. Ungefähr fünfzig Teilnehmer zählt die Kundgebung, Menschen mit schwarzer und heller Hautfarbe, aus Afrika, Osteuropa, Nahost und Deutschland.

Fast zur selben Zeit gehen im vogtländischen Reichenbach Karawane-Aktivisten für Claudia Omoroghomwan auf die Straße. Der aus Nigeria stammenden Frau verweigert das Jugendamt den Kontakt zu ihren drei Adoptivtöchtern. Die Mädchen waren aus dem Asylbewerberheim in Posseck in ein Kinderheim der Arbeiterwohlfahrt geflohen, weil sie das Leben in Posseck nicht ertragen konnten. Die Polizei brachte sie mit Gewalt zurück. Nachdem sie sich über die Lebensbedingungen in der Unterkunft beschwert hatte, war der Mutter im Juli die Vormundschaft für die Töchter ihres verstorbenen Bruders entzogen worden.

»Schnelles und gezieltes Handeln ist eine der Stärken der Karawane«, sagt Ralf Santana Lourenco von dem Ableger der Hamburger Karawane. Die Initiative schafft Öffentlichkeit und gewährt juristischen Beistand. Ihre erste koordinierte und bundesweite Aktion startete sie 1998, kurz vor der Bundestagswahl. Mit dem Slogan: »Wir haben keine Wahl, aber eine Stimme«, zog der Trupp durch 44 Städte. Inzwischen ist das Netzwerk in elf Städten organisiert, wird von Flüchtlingen und Akti-visten aus antifaschistischen und antirassistischen Gruppen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, Religionen und Hautfarben getragen.

Die Karawane kämpft gegen Abschiebungen, die Residenzpflicht, die den Bewegungsradius der Asylsuchenden einschränkt, macht Zusammenhänge zwischen der Politik der reichen Industrieländer und den Migrationen deutlich.

Die Thüringer Gruppe heißt »The Voice Refugee Forum Jena«. Derzeit hat sie vor allem mit den Flüchtlingsprotesten in Gehlberg und Katzhütte zu tun. Um deren Kampf zu unterstützen und den Bewohnern Mut zu machen, klapperte die Karawane am Freitag berüchtigte Unterkünfte ab. Erster Halt: Apolda, Stobraer Straße. Nach einigem Hin und Her erhielten die etwa 50 Karawane-Teilnehmer Zutritt zu dem zweistöckigen Gebäude mit den vergitterten Fenstern.

Nur wenige Bewohner sind da. Wie Lowa Geworgian. Der 39-Jährige aus Aserbaidshan sieht älter aus, ist schmal. Er hat Tuberkulose, soviel weiß er aus den ärztlichen Gutachten, von denen er kein Wort versteht. Sprachunterricht bekommt er nicht. Im Zimmer läuft ein Ölradiator, die Heizung funktioniert nicht. Geworgian hustet Blut, trotz Ansteckungsgefahr muss er Sanitäranlagen und Küche mit anderen teilen. Die Duschen sind weit, sagt er, die Wasserhähne so eingestellt, dass das Wasser nur kurze Zeit läuft. Er friere. In einem anderen Zimmer lebt ein Mann aus Vietnam seit 16 Jahren. Er wirkt verschreckt, scheint nicht zu verstehen, was passiert. Auch er spricht fast kein Deutsch, ebenso wenig wie der chinesische Flüchtling, der seit acht Jahren im Heim lebt.

»Wo wir auch hinkommen: Angst ist überall zu spüren«, erzählt ein Karawane-Aktivist aus Wuppertal. »Das Leben im Lager frisst die Leute auf.« Die Menschen haben oft in ihrer Heimat Gewalt erlebt. In Deutschland machten sie ähnliche Erfahrungen. Das schüchtert viele ein.

Doch nicht alle. Tawfik Lbebidy ist einer der Voice-Aktivisten. Der syrischstämmige Redskin lebt im Asylbewerberheim in Gehlberg und ist seit sechs Jahren in Deutschland. Wenn die Unterkunft geschlossen werden sollte, ist das kein Gnadenakt vom Landratsamt, sondern ein Ergebnis des Kampfes der Flüchtlinge, macht Lbebidy deutlich. »Wir schließen die Lager.«

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