Die Schuld der Väter

Im Kino: Porträt des Erschaffers der Stolpersteine Gunter Demnig

  • Oliver Händler
  • Lesedauer: 5 Min.

Über 17 000 Stolpersteine hat der Künstler Gunter Demnig zum Gedenken an von den Nazis ermordeten Menschen bereits verlegt. Nun läuft der Dokumentarfilm »Stolperstein« in den Kinos. Er ist nicht nur Mahnung, die dunkelste Seite deutscher Vergangenheit nicht zu vergessen, sondern auch Protest gegen eine fragwürdige Politik des Gedenkens in München.

Sein Markenzeichen ist der Hut. Dazu eine Lederweste und Arbeitshose; Gunter Demnig könnte als Australier aus dem weiten Outback durchgehen. Doch er tourt bislang »nur« durch Europa. Demnig ist dafür verantwortlich, dass Menschen an 17 000 Stellen in 375 Orten verteilt auf fünf Länder über Messingsteine stolpern. Für die Opfer des Nationalsozialismus hat er sie in Bürgersteige einbetoniert. Bei seiner Arbeit begleitete ihn eine Kamera, und mit »Stolperstein« ist ein sehr ruhiges Porträt entstanden, dass dem Künstler so nah kommt, dass er meist sogar ohne Hut zu sehen ist.

Demnig erzählt mal in seinem roten Kleintransporter, mit dem er lieber über Landstraßen als auf Autobahnen fährt, mal in seiner Werkstatt, in der noch in jeden Stein von Hand gestanzt wird, über den Anfang des Projekts, als Bewohner daran zweifelten, dass etwa in einer Kölner Gegend jemals Sinti und Roma gelebt hätten. Da sei ihm klar geworden, dass er die Namen zurückholen müsste, weil die Opfer in den KZ zu Nummern geworden waren.

»Hier wohnte ... « Auf diese Worte folgen immer ein Name und die Daten der Deportation und Ermordung eines Juden, einer Kommunistin, eines Homosexuellen. Diese Steine öffnen Geschichtsbücher, graben verschüttete Erinnerungen aus. So ruft sich ein Österreicher die Worte seines Vaters ins Gedächtnis, der dabei zugesehen hatte, als ein Sinto aus seinem Versteck abtransportiert wurde: »Als die damals abgeholt wurden, hätten wir alle aufschreien müssen. Wir haben alle gewusst: Die kommen nie mehr zurück.«

Dieser Film zeigt, dass die Kunst nicht in der Werkstatt, sondern in der Öffentlichkeit entsteht. Dort regen die Stolpersteine zum Nachdenken oder zumindest zum Reden an. Dort findet der politische Diskurs statt. Dort verteilt die NPD Flugblätter mit der Forderung, auch Bombenopfern und gefallenen Soldaten Steine zu setzen. Gleichzeitig legen Menschen Blumen nieder, halten bei schlechtem Wetter Regenschirme über den Künstler, spenden Strom aus ihrer Wohnung für den Presslufthammer und Beifall nach getaner Arbeit. Manchmal arbeitet Demnig unter Polizeischutz. Im Osten und in Bochum sei die Polizei grundsätzlich dabei, sagt er. Als in Halle/Saale einmal acht Steine verschwanden, brachte ein Benefizkonzert genug Geld für 26 neue ein. Währenddessen verzierte ein Schild den Ort des Verbrechens: »Hier lagen Stolpersteine. Sie kommen wieder.«

Sehr persönlich wird der Film von Dörte Franke, wenn Demnig über Liebe, seinen Glauben oder über seine künstlerischen Anfänge spricht, als er mitten in der 68er Bewegung entdeckte, welche direkte Wirkung Kunst außerhalb von Museen hat. Zu dieser Zeit habe er auch von der Vergangenheit seines Vaters in der Legion Condor im spanischen Bürgerkrieg erfahren. Sprechen konnte er mit ihm nie darüber, sagt er, ähnlich wie die Frauen, die im Zentrum eines kurzen Exkurses stehen. Auch deren Eltern haben ihre vermutlich dunkle Vergangenheit stets verschwiegen. Nun putzen sie Demnigs Stolpersteine, um die Schuld ihrer Väter abzutragen.

Am meisten bewegt jedoch die Geschichte von Peter Jordan, einem älteren Mann, der noch 1939 als Kind aus Deutschland fliehen konnte und seitdem in England lebt. Er wollte den ermordeten Eltern in München zwei Stolpersteine setzen lassen, doch Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) und die Stadt haben es ihm verweigert. In Bayerns Hauptstadt werden grundsätzlich keine Stolpersteine verlegt. Demnig erzählt von fragwürdigen Begründungen, die auch von der dortigen jüdischen Gemeinde geteilt würden: Eine solche Aktion etwa dürfe nicht von einem Menschen ausgehen, der – Demnig ist Jahrgang 1947 – die Zeit des Dritten Reichs nicht erlebt hätte. Selbst die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, spricht sich öffentlich gegen die Steine aus, da man somit die Opfer mit Füßen trete. Privat ist diese Meinung vertretbar und verständlich, doch erklärt ihr Peter Jordan eindringlich, dass Knobloch die Form des Andenkens an Jordans eigene Eltern eigentlich nichts anginge.

Gunter Demnig hat die Steine dann trotzdem verlegt. Nach einem Tag sind sie von der Stadt München entfernt und zum jüdischen Friedhof gebracht worden. Jordan soll dem Oberbürgermeister damals geschrieben haben: »Herr Ude, Sie haben heute meine Eltern ein zweites Mal deportiert.« Im Film liest Jordan Briefe vor, die ihn nach diesem Vorfall erreichten. Münchner Schulkinder zeigten darin ihr Unverständnis, ihre Wut, ihre Traurigkeit über das Geschehene: »Der Oberbürgermeister ist sozusagen blöd!«

Bei der Filmpremiere in Berlin hat Demnig seinen Hut wieder aufgesetzt. Ein Image muss man schließlich pflegen. »Das Projekt«, sagt er sichtlich ergriffen vom Film, »nimmt die Form an, die wir uns gewünscht haben: für ganz Europa und für alle Opfergruppen.«

Dass es niemals an alle Opfer einzeln erinnern wird können, liegt in der Natur der künstlerischen Sache. Demnig will die Steine weiter in Handarbeit anfertigen und selbst verlegen, auch wenn er mittlerweile einen Helfer in der Werkstatt hat. Stolpersteine vom Fließband entspräche nicht Demnigs Intention. Damit würde er sich den Nazis angleichen, die ihre Opfer in Auschwitz wie am Fließband ermordeten, meint er. Trotzdem wird auch in Zukunft eines für das Projekt gelten: Jeder verlegte Stein mehr ist ein vergessenes Opfer weniger.

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