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Die Allparteienkoalition

Seit zehn Jahren gibt es den Kulturausschuss des Bundestages

  • Heinrich Fink
  • Lesedauer: 6 Min.

Mit großem Erstaunen und Interesse haben Wählerinnen und Wähler im Wahlkampf 1998 zur Kenntnis genommen, dass Kultur wieder ein Thema in der Politik im Deutschen Bundestag werden würde, wenn die SPD in die Regierung käme. Es war Gerhard Schröder, der die Themen Frieden und Kultur für seine Partei, für den Wahlkampf wiederentdeckte. Schon in den ersten fünf Legislaturperioden der Bundesrepublik von 1949 bis 1969 gab es Ausschüsse für Kultur und Medienpolitik. Danach wurden diese Themen in der Innenpolitik, der Außenpolitik und im Rechtsausschuss des Bundestages beraten.

Nun, vor zehn Jahren, wurde wieder Kultur für einen eigenen Ausschuss vorgeschlagen und dazu auch erstmalig ein Kulturstaatsminister im Kanzleramt in Erwägung gezogen. Beklagte doch noch Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, den Verfall der Kulturpolitik unter dem Bundeskanzler Kohl, »bei dem Kulturpolitik doch nur in der Regierung betrieben würde und das Parlament unbeteiligt bliebe«. Das sollte nun 1998 anders werden. So waren damals auch die Erwartungen in der Öffentlichkeit groß, als sich am 18. November 1998 in Bonn im »Langen Eugen« des Bundeshauses aus Abgeordneten der fünf Fraktionen im Saal NH 2702 (die PDS zog zum ersten Mal in Fraktionsstärke ins Parlament ein) versammelten.

In der Liste der Ausschussmitglieder waren prominente Namen, zum Beispiel die Bundestagspräsidentin Antje Vollmer (Bündnis 90/Die Grünen), Norbert Lammert (CDU), der heutige Bundestagspräsident. Als stellvertretende Mitglieder waren Rita Süssmuth und Helmut Kohl auf der Liste (im Unterschied zu Süssmuth, die sehr bald das Niveau der Debatte im Ausschuss mitbestimmte, war Kohl nicht ein einziges Mal anwesend).

Die Mitglieder des Ausschusses waren von ihrer neuen Aufgabe sehr motiviert und unter der Leitung von Elke Leonhard lief die Arbeit von der ersten Sitzung mit »Akribie und bürokratischer Genauigkeit«. In der gelegentlich heftigen Auseinandersetzung schmiedete sich bald eine Art »Allparteienkoalition für die Sache der Kultur«, die bei allem Streit von Kollegialität geprägt war und von Verständnis, dass die Gemeinsamkeit für das gewachsene Interesse an Kulturpolitik stärker ist als die sonst in der Debatte bekannten gegenseitigen Anfeindungen im Parlamentsplenum. So wurde durch das erste Thema »Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas« ein cantus firmus deutlich: Wie gehen wir mit der Erinnerungskultur im vereinten Deutschland um. So waren die Linken für ein Denkmal zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus ohne Unterschiede deren politischer Überzeugung, also auch für verfolgte Kommunisten, Sinti und Roma, Homosexuelle und Opfer aus dem religiösen Widerstand. Der Ausschuss hatte eine Vorarbeit einer Bürgerbewegung aus Westberlin für ein Denkmal für die ermordeten Juden in Europa übernommen. Im Ausschuss gab es einen harten, aber kollegialen Streit, sowohl um den Entwurf von Peter Eisenmann als auch um den Ort und um die Widmung. Es ist gelungen, eine Hierarchisierung der Opfer zu verhindern und entsprechend für die jeweiligen Opfergruppen ein Erinnerungsmal zu errichten. Das letzte für die Sinti und Roma ist gerade in Bau.

In den zehn Jahren des Bestehens des Kulturausschusses haben drei Vorsitzende und vier Staatsminister dem Ausschuss jeweils das Profil gegeben. Michael Naumann (SPD) stand für die Erinnerungskultur mit dem Denkmal für die ermordeten Juden, dann mit der Diskussion um die Beutekunst, um die Mahn- und Gedenkstätten der ehemaligen beiden deutschen Staaten.

Mehrere Mitglieder des Kulturausschusses waren gleichzeitig im Kunstbeirat des Bundestagspräsidenten, in dem nicht nur über den Ankauf von Kunst diskutiert wurde, sondern auch über die Kunst am Bau des Reichstages. So auch um die Erweiterung der Inschrift am Reichstag »DEM DEUTSCHEN VOLKE« durch die Arbeit von Hans Haake, der die Widmung fortschrieb mit dem Kunstwerk »DER BEVÖLKERUNG«, für die das Parlament jetzt Gesetze macht.

Julian Nida-Rümelin (SPD) hat mit der Kulturstiftung ein Bekenntnis für die Förderung der zeitgenössischen Kunst auf bundesdeutscher Ebene gewirkt. Er zerstreute die Bedenken und Befürchtungen der Länder, dass mit dem Ausschuss die Hoheit der Länder für Kultur gefährdet würde. Durch seinen Einsatz für guten, kooperativen Kulturföderalismus räumte er dieses Misstrauen aus.

Die Amtszeit von Christina Weiss (parteilos) war durch ihr Interesse für experimentelle Kunst und Kultur, gerade auch für die Hauptstadt, geprägt. Sie hat die umstrittene Filmakademie ins Leben gerufen und die Filmförderung reformiert. Der jetzige Kulturminister Bernd Neumann (CDU) ist geradezu das Kontinuum des Kulturausschusses. Ihm verdankt die Filmwelt wieder größere Beachtung des deutschen Filmes.

Die Themen, mit denen sich der Ausschuss zu befassen hatte, sind umfangreich. Die Buchpreisbindung, der Wiederaufbau der Anna-Amalia-Bibliothek, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das Goethe-Institut, das Humboldt-Forum, die Neugestaltung der Medien- und Kommunikationsordnung. Auch Fragen der Kultur- und Bildungspolitik, die vom Auswärtigen Amt verantwortet wird, waren und sind Gegenstand der Ausschussdebatten, die dann im Bundstagsplenum zur Abstimmung anstehen.

Viele Künstlerinnen und Künstler, besonders die jungen unter ihnen, verdanken dem Kulturausschuss die Wiederaufnahme und die Stabilisierung der Künstlersozialversicherung und die Diskussion um ihre wirtschaftliche und soziale Lage, die im Schlussbericht der Enquete-Kommission thematisiert wurden.

Auch der Streit um den Erhalt von Orchestern und Theatern in Ost und West war ständig Gegenstand der Debatten. Am 13. November 2008, also nach 10 Jahren des Bestehens dieses Ausschusses, war in Berichten des Deutschen Bundestages und in Pressemitteilungen zu lesen, dass annähernd 500 Handlungsempfehlungen vom Ausschuss abgegeben wurden und dem Parlament damit ein weitreichendes Arbeitsprogramm in kulturellen Fragen nahegelegt wurde.

In seinen 250 Sitzungen, in denen der Ausschuss getagt hat, ist die Verantwortung des Parlamentes für Kultur und Kunst öffentlich gemacht, debattiert und in die demokratische Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit eingebracht worden. In der zweiten Ausschusssitzung am 18. November 1998 hat der jetzige Bundestagspräsident seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht: »Der Beauftragte für Kultur und Medien und der Ausschuss können mit ihrer Arbeit zur Rückgewinnung des Kulturellen in der Gesellschaft beitragen.« Dieser Beitrag ist im Prozess, zum Beispiel in der Diskussion um das Gedenkstättenkonzept und ihrer politisch umstrittenen Totalitarismusthese, noch nicht beendet. Aber sie hat ihren Ort in der Diskussion im Ausschuss und damit auch im Parlament.

Noch ist Kultur als Staatsziel im Grundgesetz nicht verankert. Darum wird es noch heiße Debatten geben, aber auch gerade in ihnen wird die Bedeutung von Kunst und Kultur in der Bevölkerung lebendig bleiben. Wir können uns nur zur Existenz dieses Ausschusses gratulieren, der dafür eine Öffentlichkeit schafft. Deshalb muss er auch für die nächste Legislaturperiode erhalten bleiben.

Heute lädt der gegenwärtige Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien, Hans-Joachim Otto (FDP) alle bisherigen Ausschussmitglieder zu einer Festsitzung – auch ein Novum der parlamentarischen Kultur.

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