Ist Hamas Urheber allen Übels?

Marwan Abdulal über den Gaza-Krieg und die Spaltung der arabischen Welt

  • Lesedauer: 3 Min.
Marwan Abdulal ist Sprecher der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) in Libanon.
Marwan Abdulal
Marwan Abdulal

ND: Die Lage in Gaza verschlimmert sich von Tag zu Tag. Israel und viele europäische Medien machen die Hamas verantwortlich ...

Marwan Abdulal: Was heute in Gaza passiert, geschah vor einigen Jahren ebenso in Ramallah im Westjordanland – und dort gab es keine Hamas. Das ist reine Propaganda, das hat nichts mit der Wahrheit zu tun. Israel sagt, es würde von der arabischen Welt bedroht und angegriffen. Aber ich frage Sie: Wer hat innerhalb nur eines Tages in Gaza nahezu 300 Menschen getötet? Israelische Politiker nutzen diesen Krieg, um damit Kapital für die kommenden Wahlen für sich herauszuschlagen. Vor allem die politischen Parteien des rechten Flügels in Israel wollen die israelischen Wahlen mit palästinensischem Blut gewinnen.

Wie ist die Situation in Gaza jetzt?

Derzeit leben etwa 1,5 Millionen Menschen in diesem kleinen Gebiet, das man Gaza-Streifen nennt. Die Menschen leben so dicht aufeinander, dass – wenn man nur ein Hamas-Mitglied mit einem Luftschlag töten will – man 100 zivile Opfer mit in Kauf nehmen muss. Und genau das geschieht dort jetzt gerade.

Weshalb ringen sich palästinensische Organisationen und arabische Staaten selbst angesichts dieser Katastrophe nicht zu einem einheitlichen Standpunkt durch?

Das ist unter anderem ein Erfolg Israels, die arabische Welt in verschiedene, konkurrierende Teile zu spalten. Viele arabische Staaten unterhalten zudem gute Beziehungen zu Washington. Sogar die Hamas ist gut für Israel …

Das ist erklärungsbedürftig!

Das ist genau das, was Israel möchte. Israel braucht die Hamas, damit Palästina nicht nur geografisch, sondern auch politisch geteilt bleibt. Israel möchte auf gar keinen Fall ein einiges Palästina, bestehend aus Gaza und dem Westjordanland.

Den Israelis schwebt eine Hamas in der Art eines zahnlosen Löwen vor, etwa nach dem Vorbild der türkisch-islamischen Regierungspartei AKP. Religiös – ja! Islamische Werte – ja! Aber alles in pro-westlicher Ausrichtung. Die AKP ist pro-westlich und unterhält gute Kontakte zur Hamas. Darin sehen die Israelis die Chance, dass Palästina uneins bleibt. Zudem würden dem islamisch motivierten Widerstand die Krallen gezogen werden.

Erwarten Sie von Barack Obama einen Wechsel in der Nahost-Politik der USA?

Nein, Israel ist nach USA-Denkart ein westlicher Vorposten in Nahost und wird unterstützt. Obamas »Wechsel« wird anders ausfallen, als viele heute erwarten.

Wie denn?

George Bush hat die Region mit US-Stützpunkten übersät. Obama lehnt das ab, sagt er. Seine Politik wird anders aussehen. Er wird die militärische Machtposition nicht aufgeben, sondern lediglich an Israel delegieren. Israel soll künftig die Region kontrollieren, natürlich im Sinne der USA. Vielleicht wird Israel demnächst Iran bombardieren. Dann kann Washington sagen, dass es nicht die USA waren. So wird der Wechsel aussehen …

Das Recht auf Widerstand wird nicht selten in den USA und Europa als »Terrorismus« bezeichnet…

Die PFLP steht in den sogenannten Terrorlisten der USA und der Europäischen Union. Aber ich frage Sie: Haben wir in den zwei vergangenen Jahrzehnten jemals Amerikaner oder Europäer angegriffen? Die Terrordebatten, die heute in Amerika und in Europa geführt werden, dienen doch nur demagogischen Zwecken.

Fragen: Andrea Ricci, Beirut

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