Schluss für EXIT in Fürstenwalde

Aussteigerinitiative für Neonazis braucht Hilfe – eine Zweigstelle muss schon mal dicht machen

  • Sybille Gurack
  • Lesedauer: 4 Min.
EXIT-Standort: die Mühlenstraße in Fürstenwalde
EXIT-Standort: die Mühlenstraße in Fürstenwalde

Bei der NPD brennen jetzt die Freudenfeuer: EXIT-Deutschland, die bewährte Aussteigerinitiative für Neonazis, muss den Standort Fürstenwalde aufgeben. Schwerin ist seit September 2008 draußen. Für Dresden sieht Geschäftsführer Bernd Wagner bis zum Jahresende ebenfalls schwarz. Die verbliebenen Akteure können folglich nur von Berlin aus und eingeschränkt agieren – trotz einer 80 000-Euro- Spende für die Initiative, die die Antonio-Amadeo-Stiftung am vergangenen Montag bekannt gab.

Den Raum für das EXIT-Büro in der Fürstenwalder Mühlenstraße musste Wagner in der vergangenen Woche aus Geldnot kündigen. Hier fanden bislang zwei Mal im Monat Veranstaltungen statt. Im Publikum saßen Bürger, vor allem Jugendliche, Fachleute aus dem Polizei- und Justizapparat und Pädagogen. Die Redner waren in der Regel ausgestiegene rechtsextremistische Kader.

»Je nach Kassenlage spiele ich den Bösen, muss entlassen, oder kann der Gute sein und wieder beschäftigen«, bedauert Wagner. Beim eigentlichen EXIT sei er mittlerweile die letzte Person. In der Familienhilfe sind vier Beschäftigte – darunter mit Matthias Adrian ein ehemaliger Kader der rechtsextremen Szene.

EXIT ist kein staatliches Projekt. Es wurde am 23. Mai 2000 offiziell gegründet. Bernd Wagner stand damals der einstige »Gauleiter« von Berlin, Ingo Hasselbach, zur Seite. Man kannte sich aus der Nazizeit von Hasselbach. Dabei war auch die Amadeu-Antonio-Stiftung. Wirtschaftsunternehmen und Künstler wie Udo Lindenberg unterstützten die Initiative.

»Politiker besinnen sich von Anfang an nur auf EXIT, wenn die Schlagzeile gerade passt«, rügt Wagner. Ansonsten sei für sie die Ausstiegsproblematik »eine private Angelegenheit«. Für die Bundesregierung sei EXIT immer lediglich als Pilotprojekt interessant und förderfähig gewesen. Die Länder hielten sich heraus und seien gratis in den Genuss gekommen.

2009 rauschte EXIT durch jedes Förderraster – mochte der Erfolg auch noch so groß sein. Tatsachen wie jährlich 30 bis 40 ausgestiegene Neonazis zählen offenbar nicht, wenn es um Ausschreibungsbestimmungen, Modalitäten und Formalitäten geht. Im Rennen mit der staatlichen Bürokratie blieb die Vernunft auf der Strecke.

Wagner ist sauer. »Wir passen in kein Konzept, bekommen wir als Antwort, und dass wir nicht den Nerv treffen würden. Wir gehen in die Öffentlichkeit, in die Schulklassen, laden ein zu Informationsveranstaltungen mit ausgestiegenen Kadern der Rechtsextremisten als Redner, wir fahren zu Gesprächen in Gefängnissen durch ganz Deutschland. Wir werden mit Hass überzogen und bedroht und stehen täglich ein für Demokratie und Toleranz.«

Manchmal wünscht sich Wagner, der gern als »Täterversteher« beschimpft wird, dass er vornehmen Moralismus pflegen könnte und sich zurücklehnen wie die meisten in den staatlichen Einrichtungen. Wirklichkeitsfremd, ohne Sachkenntnis reagierten solche Beamte oft mit völlig am Thema vorbeigehenden Maßnahmen auf Aussteiger und die seelische Not auch ihrer Familien.

Was die finanzielle Misere betrifft, so hofft die Initiative aktuell auf gesunden Menschenverstand bei der Mittelvergabe zum XENOS-Sonderprogramm »Ausstieg zum Einstieg« vom Bundessozialministerium. Das Sonderprogramm hat ein Fördervolumen von rund sieben Millionen Euro. Die Gesamtausgaben pro Projekt dürfen 500 000 Euro nicht übersteigen. Von den Trägern wird eine angemessene Kofinanzierung erwartet. Die Projektlaufzeit beträgt drei Jahre. Anmeldeschluss ist morgen. EXIT ist unter den Antragstellern. Momentan finanziert sich die in Deutschland einmalige Initiative durch Spenden, Stiftungen und Glücksfälle wie die Münchener Beteiligungsgesellschaft Bavaria Industriekapital AG, die im Herbst 50 000 Euro spendete.

Wie funktioniert die Aussteigerinitiative? Sie steht bereit, wenn Neonazis Zweifel kommen. Wenn sie anfangen, über ihren politischen Irrweg nachzudenken. Wenn sie nach Möglichkeiten eines gefahrlosen Ausstiegs suchen. Die Neonazis warnen ihre Kader bei Schulungen vor derart schwachen Momenten – und dem Team um Wagner. Die Treffsicherheit der Aussteigerinitiative ist gegeben durch die bisher stete Zahl der Aussteiger mit Informationen aus erster Hand.

Das Leben der Ausstiegswilligen ist meist mit Kriminalität und Gefahr verbunden. Oft sind Gespräche einen Tag und länger nötig, um die Situation zu klären. »Wir tragen niemand zum Besseren. Sie müssen es sich erarbeiten«, erklärt Wagner. »Aber wir können helfen durch unsere Erfahrung.« Je nach Persönlichkeit und Umständen dauere es sechs Monate oder ein ganzes Jahr, bis sich der Ausgestiegene eine neue Orientierung ohne braunes Weltbild geschaffen habe. Dabei gehe es auch um die Eltern, Verwandten und Freunde, die wie der Betroffenen selbst vielfach in Angst vor Racheakten der alten Kameradschaft leben. Nicht selten seien Wohnungswechsel nötig. In jedem Fall ein neues soziales Umfeld und Arbeit. Eine schwierige Phase, in der die Aussteiger zwischen den Welten hängen: einerseits werden sie als »Verräterschweine« verfolgt und bedroht. Auf der anderen Seite verbauen ihnen Vorurteile wie »einmal Nazi – immer Nazi« den Neuanfang.

Spenden über Amadeu-Antonio- Stiftung, Stichwort: EXIT, Deutsche Bank Bensheim, BLZ 50 970 004, Kto.: 030 331 329, www.exit-deutschland.de

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