Hat Amazonien eine Chance?

Forum über die Möglichkeiten des Übergangs zu einer Waldzivilisation

  • Gerhard Dilger, Belém
  • Lesedauer: 3 Min.
Das »Forum über Theologie und Befreiung« in Belém machte ein Dilemma des heute beginnende Weltsozialforums deutlich: Lateinamerikas Linke kuscheln lieber, statt Kontroversen offen auszutragen .

Ein zentrales Thema des Weltsozialforums wird Amazonien sein. Auch auf dem »Forum über Theologie und Befreiung«, das am Sonntag zu Ende ging, drehten sich viele Aktivitäten um die bedrohliche Lage für Mensch und Natur in der Neun-Länder-Region. Im Foyer wurde an die Ordensfrau Dorothy Stang erinnert, die ihren Einsatz für brasilianische Kleinbauern 2005 mit dem Leben bezahlte.

Stargast war der 70-jährige Befreiungstheologe Leonardo Boff, der klarsichtig die Krise Amazoniens und der Welt analysierte. »Das Weltsozialforum muss Druck auf die brasilianische Regierung ausüben, damit sie eine klare Amazonienpolitik entwickelt«, sagte er in einem Interview. Bislang gebe es nur punktuelle Maßnahmen gegen die Waldzerstörung, aber keinen kohärenten Plan, kritisierte Boff: »Wir brauchen keinen Plan zur Beschleunigung des Wachstums, sondern zur Integration und zum Erhalt Amazoniens.« Doch bei seinen öffentlichen Auftritten zeigte sich eine Schwäche, die viel mit der politischen Kultur der lateinamerikanischen Linken zu tun hat: Kontroverse Debatten sind Mangelware.

Dabei saß auf dem Podium am Sonnabend nicht nur Boff, sondern auch die ehemalige Umweltministerin Marina Silva, die nach ständigen Reibereien mit mächtigeren Ressortkollegen im letzten Mai zurückgetreten war. Der mutige Staatsanwalt Felício Pontes, der keinem Konflikt mit den Mafiosi des Bundesstaates Pará aus dem Weg geht, schilderte in seiner Einführung das vorherrschende Raubbaumodell. Anhand zweier Karten wies er darauf hin, dass gerade im »Entwaldungsbogen« im Osten und Süden des brasilianischen Amazonasgebietes auch die Menschenrechte am meisten verletzt werden: Im Südwesten und Süden Parás gibt es die meisten modernen Sklaven und die meisten Morde an Landarbeitern.

Doch statt einer lebendigen Debatte folgten langatmige Grundsatzreferate von Silva und Boff. Silvas selbstgefälliges Resümee ihrer fünfjährigen Amtszeit blieb unwidersprochen im Raum stehen. Die konkreten Schwierigkeiten, Wege abseits des Wachstumswahns zu gehen, wurden nicht thematisiert, stattdessen gab es linkes Liedgut und freundlichen Applaus für Allgemeinplätze.

Spannender war es, was in einem Workshop Pastor Walter Sass berichtete, der für den lutherischen Indianermissionsrat COMIN im Südwesten des brasiliansichen Bundesstaats Amazonas tätig ist: Zusammen mit den Lehrern der Deni- und der Kanamari-Indígenas schrieb er ihre Mythen auf und verfasste ein Mathematikbuch. Westliche Theologen könnten durch die Kosmologie der Ureinwohner wieder lernen, dass nicht der Mensch der Mittelpunkt der Welt sei, meinte Sass, dessen Arbeit von einem Freundeskreis in Deutschland finanziert wird. Ähnlich wie seine Kollegen vom katholischen CIMI plädiert er für einen respektvollen Umgang mit den Indígenas auf Augenhöhe – eine Position, mit denen die linken Kirchenleute in ihren Heimatgemeinden immer wieder anecken.

So lieferte das Theologenforum einen zwiespältigen Vorgeschmack auf das Weltsozialforum, das am heutigen Dienstag beginnt: gewinnbringender Austausch in überschaubaren Workshops, folgenlose Jubelveranstaltungen mit Stars. Der Höhepunkt in der zweiten Kategorie wird am Donnerstag ein gemeinsamer Auftritt von fünf linken Präsidenten sein. Ob die allerdings aus Belém den Anstoß mitnehmen, eine andere, womöglich koordinierte Amazonaspolitik in Angriff zu nehmen, bezweifelt der prominente Journalist Lúcio Flávio Pinto: »Im Grunde ist das Weltsozialforum ein Kampf der Eliten, der Ideologien. Meine Hoffnung ist die Gesellschaft, etwa ein großes Programm, durch das Wissenschaftler vor Ort ausgebildet werden und forschen. Sonst verspielen wir die letzte Chance, eine Waldzivilisation – eine Agrarzivilisation ohne Zerstörung des Resturwalds – zu entwickeln«.

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