Wir bleiben unter uns

  • Brigitte Zimmermann
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Brigitte Zimmermann
Brigitte Zimmermann

Mit den Skandalen, einer Konstante unseres schönen freiheitlichen Lebens, verhält es sich so: Manche sind wirklich welche. Lebensmittelskandale, Steuerhinterziehungsskandale, Dopingskandale, Bankenskandale. Andere werden nur inszeniert, damit interessierte Medien die Quote hoch halten können. Dauerekelsendungen aus dem Dschungelcamp zum Beispiel. Und wieder andere Tatsachen bringen es einfach nicht zum Skandal, obwohl sie das Zeug dazu mehr als aufweisen.

Für den jüngsten Fall sorgen gerade Bundesinnenminister Schäuble bzw. die in größeren Teilen CDU-fromme deutsche Öffentlichkeit. Sie spielte Schäubles barsche Weigerung, Insassen aus dem US-Gefangenenlager Guantanamo aufzunehmen, das Obama auflösen will, zunächst zur kleinen Fehde mit Außenminister Steinmeier herunter. Der zeigt sich offen für die Aufnahme. Das Kleinreden konnte eine Weile gut funktionieren, weil die Kanzlerin auch hier noch laviert, um Witterung nach den stärkeren Bataillonen aufzunehmen. Das dauert an.

Dabei handelt es sich bei dieser Verweigerung um ein Armutszeugnis, gegen das sie hätte einschreiten sollen. Denn von den noch knapp 250 in Guantanamo auf Kuba gefangen gehaltenen Menschen, manche schon über sieben Jahre, ohne Prozess, würde höchstens eine gute Hand voll nach der Freilassung den Wunsch äußern, nach Deutschland zu wollen. Weil ihnen in ihren Heimatländern politische Verfolgung und Schlimmeres droht. Und da sieht sich Deutschlands Innenminister nicht einmal in der Lage, wenigstens Einzelfallprüfungen zuzusagen? Sondern er holt tatsächlich die großen Vorhängeschlösser raus und ordert Stacheldraht: Hier kommt keiner rein!

Und er will die ganze EU auf diese Linie bringen. Beschämend.

Denn es geht nicht um die Einfuhr von Terroristen. Selbst CDU-frommste Medien hegen keine Zweifel, dass in Guantanamo nicht wenige Menschen einsitzen, die sich unmittelbar nach dem 11. September 2001 einfach zur falschen Zeit am falschen Platz befanden. Dass sie in Guantanamo teilweise in Käfigen gehalten und zwecks gewünschter Aussagen gefoltert wurden. Großmütig räumt Schäuble ein, Unschuldige müssten freigelassen werden. Um dann, gegenüber der »Frankfurter Rundschau«, kaltschnäuzig hinzuzufügen: »Wenn sie aus Ländern kommen, in die sie aus Menschenrechtsgründen nicht zurückkehren können, müssen sie eben in den USA bleiben.«

Abgesehen davon, dass jahrelange grundlose Haft unter unwürdigen, rechtlosen Bedingungen keine Einladung zum Verweilen ist: Was ist denn nun mit den Menschenrechten? Kennen manche die vor allem dann, wenn es um den Nachweis ihrer Verletzung in der DDR, in China oder in Russland geht? Das klappt ja wunderbar. Oder darf ein geschundener Mensch in ihrem Namen auch äußern, künftig in Deutschland leben zu wollen, auch wenn er kein Deutscher ist? Soll er offensichtlich nicht. Und obendrein zeigen wir beispielsweise mit Fingern auf den syrischen Staatschef Assad, über dessen Regime man streiten kann, aber er hat über eine Million irakische Flüchtlinge im Lande. Wegen der von Lügen gestützten US-Aggression gegen Irak, die Angela Merkel übrigens, damals noch in der Opposition, für richtig befunden hat. Wenn einer wie Assad sagt, nichts geht mehr, kann man das verstehen. Aber Deutschland, wegen sieben oder acht eventuellen Zuwanderern? Peinlich.

Weitere Fragen drängen sich auf. Unter dem unglückseligen George W. Bush ließ sich Deutschland in seiner Bündnistreue gegenüber den USA lange kaum übertreffen. Frau Merkel besuchte ihn privat auf seiner Ranch, als fast alle schon deutlich auf Distanz gegangen waren. Von Empörung über das Lager Guantanamo vernahm man die ganze Zeit recht wenig. Und nun, da Obama Rechtsstaatlichkeit herstellen will, mauern wir. Zwar wird es demnächst wohl einen Kompromiss in Richtung Aufnahme geben. Schäuble kann sich weiterhin alles erlauben, und die Kanzlerin schweigt.

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