Die Nachrichtenaufklärung

Vernachlässigte Themen durch die Presse – eine Bestandsaufnahme

  • Hanno Harnisch
  • Lesedauer: 3 Min.
Günter Wallraff, Jury-Mitglied bei INA
Günter Wallraff, Jury-Mitglied bei INA

Über die Berichterstattung von ARD und ZDF und der meisten überregionalen Zeitungen können sich der Bundestag und seine Fraktionen und auch das Bundeskabinett kaum beklagen. Jedes in bereitgehaltene Mikrofone gesprochene Wort wird sofort vervielfältigt. Jedes Thema auf allen Kanälen durchgenudelt, bis auch der letzte Zuschauer verstanden hat, dass es nun eine Abwrackprämie gibt, dass Banken gerettet werden müssen oder Autokonzerne, mit Steuergeldern, dass Daten weiter ausgespäht werden dürfen, solange es Terrorismusgefahren gibt. Man staunt oft, wenn man die Bilder aus der Tagesschau sieht, wie viel Journalisten (selten Journalistinnen) tagsüber (oder auch zu Nachtstunden, wenn es mal wieder eine Krisensitzung des Koalitionsausschusses gab) von ihren Redaktionen ins Regierungsviertel geschickt werden, um in der Regel nur ein paar gestanzte Worte von Politikern einzufangen. Die brisanten Themen finden hingegen anderswo statt – und viel zu wenig in der Presse.

Nach Ansicht der Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) hat im vergangenen Jahr die Deutsche Presse Themen wie verdeckte Werbung, Migration und Umweltschäden fast völlig unter den Tisch fallen lassen. Das Wichtigste der vernachlässigten Themen sei die veränderte Spruchpraxis von Richtern, wonach immer mehr Straftäter in eine Psychiatrie eingewiesen werden, urteilte die Jury der INA am Dienstag in Bonn. Auch über »schmutzige« Werbevorgänge der Pharmaindustrie in Blogs und Internetforen oder die Kupferbelastung durch Bremsbeläge konnte man in der Presse unseres Landes nichts – oder nur sehr wenig – lesen.

Seit Mai 1997 gibt es die Initiative, die vernachlässigte Themen nachrecherchiert, um diese in den Mediendiskurs der Bundesrepublik Deutschland und somit stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit einzubringen. Pate stand dabei das US-amerikanische »Project Censored« (Zensiertes Projekt), mit dem die Initiative – ebenso wie mit dem »Netzwerk Recherche« – verlinkt ist.

Um eigene Vorschläge für vernachlässigte Nachrichten und Themen zu machen, kann man im Blog oder auf der Homepage der Initiative selber aktiv werden. Jeder Vorschlag, der den Nominierungskriterien entspricht, wird gerne entgegengenommen. Die Vorschläge können per Post, Fax oder E-Mail über das Internet (www.nachrichtenaufklaerung.de) eingereicht werden. Aus allen Anregungen werden nach Recherche und Bewertung in jedem Jahr rund 20 Themen in eine engere Auswahl aufgenommen, aus denen eine Jury von anerkannten Wissenschaftlern und Journalisten schließlich die 10 »Top-Themen« des Jahres auswählt. Mitglied war in diesem Jahr zum Beispiel der Kölner Enthüllungsautor Günter Wallraff.

Der Geschäftsführer der Initiative Nachrichtenaufklärung, Horst Pöttker, bemängelte: »Besonders komplexe und wissenschaftliche Themen werden durch Einsparungen an der Recherche von Medien wenig behandelt«, Themen wie Migration in Deutschland oder die Lebenssituation in Entwicklungsländern seien seiner Einschätzung zufolge sehr »pauschal und undifferenziert« belichtet worden. Nach den Angaben der Initiative steigt auch die Zahl fragwürdiger Einweisungen von Verurteilten in geschlossene Anstalten an. Die veränderte Unterbringung belaste zusätzlich den Staatshaushalt in Millionenhöhe. Weitere Themen: Bei der Werbung von Pharmaunternehmen im Internet geben sich laut INA PR-Mitarbeiter als Betroffene aus und empfehlen bestimmte Medikamente. Auch Gefahren durch Uran-Munition in Kriegsgebieten oder der »Umgang mit Totalverweigerern der Bundeswehr« sind in der am Dienstag veröffentlichten Rangliste zu finden.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal