Nimmermüde Ostrocker

Puhdy Peter Meyer über Kühe und Lenin, Kämpfe und Krämpfe, die DDR und die Vereinigung – und über 40 Jahre Musik

  • Lesedauer: 10 Min.
Ein großer weißer Truck steht auf dem Hof in Dahlwitz-Hoppegarten, wo die Puhdys ihr Hauptquartier haben. Darauf überlebensgroß die heutige Besetzung: Dieter »Maschine« Birr, Peter »Eingehängt« Meyer, Dieter »Quaster« Hertrampf, Peter »Bimbo« Rasym und Klaus Scharfschwerdt. Die Puhdys machen Rockmusik seit 40 Jahren, seit November 1969. Und mittlerweile rocken auch ihre Kinder und Kindeskinder. Der DDR waren die Puhdys eine sichere Devisenquelle – sie hatten ein großes Publikum auch im Ausland. Zum runden Geburtstag beschenken sie sich mit einer Tournee, einer CD und dem Buch »Abenteuer Puhdys« (Verlag Neues Leben, 19,95 ¤), das heute 19.30 Uhr im Berliner Kino Babylon den Fans vorgestellt wird. Mit Keyboarder Peter Meyer (Jg. 1940), von Anfang an dabei, sprach Karlen Vesper.
Nimmermüde Ostrocker

ND: Die Puhdys, die erfolgreichste Rockband der DDR, feiern dieses Jahr ihren 40. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Meyer: Vermutlich liegt es daran, dass wir vom ersten Tag an unterwegs sind und immer richtig geackert haben. Wir haben einen sehr kreativen Menschen, Maschine. Der hat in den letzten Jahren nicht nur die Musik, sondern auch die Texte gemacht. Früher waren es vor allem Wolfgang Tilgner, Ulrich Plenzdorf und Burkhard Lasch.

Und Kurt Demmler.
Der hat für unsere letzte DDR-LP »Neue Helden«, die 1988 erschien, gedichtet. Ruck, zuck, in wenigen Tagen, hatte er für uns gute, in die Zeit passende Texte fertig, gefüllt mit Gorbatschow-Ideen, zum Beispiel: »Wir sind auf der Fahrt nach einer neuen Art«. Oder »Kleiner Planet«. Er war schon ein toller Texter.

Haben die Puhdys Hoffnungen auf Gorbatschow gesetzt?
Ich kann nur für mich sprechen: Es war natürlich schon sehr interessant, was da für neue Töne aus dem Kreml kamen. Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass sich die Dinge so schnell entwickeln.

Ihr Erfolg verdankt sich also vor allem den Texten?
Nicht nur. Der kraftvolle Auftritt, die Show, die Musik, immer neue Titel, das Management, die Plattenfirma – das muss alles funktionieren und zusammenpassen, vor allem jetzt in der Neuzeit.

Es passt noch, Sie füllen Säle.
Und wir haben nach der Wende auch schon zehn CDs gemacht. Unsere Popularität beruht sicher auch auf Songs wie »Hey, wir wollen die Eisbären sehen!«

Dieser wie auch die Hymnen für die Fußballklubs Hansa Rostock und Union Berlin sind eher Kommerz. Ist das nicht unter Ihrem Niveau?
Nee. Und was ist daran schlecht? Wir haben auch für Berliner Pilsner Reklame gemacht.

Verdankt sich Ihr Erfolg nach der Wende auch einem Quäntchen Nostalgie oder Ostalgie?
Natürlich auch. Aber Nostalgie oder Ostalgie ist doch was ganz Normales. Ich finde es toll, wenn Leute sagen: »Als ich geboren wurde, da habt ihr ›Lebenszeit‹ rausgebracht.« Und ein anderer sich bei »Geh zu ihr« an seine erste Liebe erinnert. Wir sind nun mal eine Ostband. Jeder hat irgendwo seine Wurzeln, Herbert Grönemeyer hat sie im Ruhrgebiet, Udo Lindenberg in Hamburg. Wir spielen bei unseren Konzerten immer etwa 60 Prozent alte Songs und 40 Prozent neue.

Der Schlüssel, wie er in DDR- Diskotheken galt: 60 Prozent Ost-Pop und -Rock und 40 Prozent aus dem Westen.
Nicht nur die Älteren wollen die alten Sachen hören. Da bittet uns ein 18jähriger, der die DDR nicht erlebt hat, »Ikarus« zu spielen, weil er das Lied ganz toll findet. Das haben wir 1974 produziert. Bei unseren Konzerten drängen sich vorn immer die Teenager. Und während bei anderen Slips und BHs auf die Bühne fliegen, sind es bei uns die Zahnspangen von den Kids.

»Rockerrente« dürfte einer Ihrer bekanntesten Songs sein. Aber was ist Ihr persönliches Lieblingslied?
»Wenn ein Mensch lebt«, von Plenzdorf, aus »Paul und Paula«.

Warum?
Weil es ein sehr schöner Text ist. Allerdings aus der Bibel, aus dem Buch Salomo. »Alles hat seine Zeit.« Deswegen durften wir das Lied auch nicht spielen, als wir zum ersten Mal im »Kessel Buntes« auftraten. Obwohl es damals ein großer Hit war. Aber so war das eben. Vielleicht gab es gerade wieder mal Zwist zwischen Partei und Kirche. Es gab immer irgendwelche Tabus, die zu beachten waren. Das kennen Sie bestimmt. Wenn es in der DDR mit der Milchversorgung schwierig war, durfte man ja auch nicht über Kühe schreiben.

Warum vergleichen Sie sich übrigens mit diesem »Rindvieh«?
Weil ich nun mal eine Kuh bin. Von der Mentalität her. Stoisch und geduldig, mag kommen, was will. Mich kann nichts so schnell aus der Ruhe bringen.

Mussten Sie deswegen stets in die Bresche springen, wenn es Probleme mit der Obrigkeit gab?
Unsere Beobachtung war: Wenn ein Politiker auf uns zu trat, wandte er sich an mich. Kam ein Rocker, ging er auf Maschine zu. Vielleicht wirke ich seriöser als die anderen. Wobei ich im normalen Leben viel verrückter bin. Aber das weiß ja niemand.

Woher kommt Ihr Spitzname »Eingehängt«?
Das war, als ich Lehrer lernte. In Droyßig. Im Internat haben wir abends die Zeit mit einem Lenin-Foto totgeschlagen, das wir aus einem Geschichtsbuch rausgerissen hatten. Ein Spiel, Spaß. Jeder »durfte« eine Nacht mit Lenin schlafen, musste das Foto aber am nächsten Abend weiterreichen. Dazu legten sich alle auf ihre Betten, machten ein Hohlkreuz. Wenn ich dran war und jemand den Lenin untergeschoben hatte, rief ich: »Eingehängt!« So melde ich mich auch am Telefon, seit Urzeiten. Ich bin ja nun schon fast 100.

Aber noch kein Methusalem! Mit der Haltung einst zu Lenin wollten Sie in der DDR Lehrer werden?
Musiklehrer. Trotzdem bin ich ein politisch interessierter Mensch.

Die Puhdys sind die Rolling Stones des Ostens, hieß und heißt es.
Das stammt von der Westjournaille. »Die Pilzköpfe vom Alexanderplatz« titelte die auch, als wir in Hamburg auftraten, auf den Tag genau 13 Jahre vor dem Mauerfall.

Sehen Sie sich auch als eine Antwort des Ostens auf die Neue Deutsche Welle?
Nee, überhaupt nicht. Die begann 1979. Das weiß ich deswegen so genau, weil da unser neuer Schlagzeuger, Klaus Scharfschwerdt, eingestiegen ist.

Für Gunther Wosylus, der die Band in dem Jahr verlassen hatte.
Später verließ er auch die DDR. Er war als einziges Bandmitglied in der SED. Also der Neue, Klaus, kam ins Studio und sang auf seine Art Neue Deutsche Welle. Das fanden wir lustig und sagten uns: »Das probieren wir auch mal.« So entstand die LP »Computer-Karriere«, die ein bisschen in die Richtung ging. Für diese Platte wurden wir am meisten kritisiert. »Jetzt springen die auch auf diesen Zug auf«, hieß es. Diese LP war aber die meist verkaufte. Und wir sind die Puhdys geblieben, auch wenn wir immer mal Neues probierten.

Sie sind bei den Weltfestspielen der Jugend 1973 in Berlin aufgetreten, haben deren faktische Hymne »Vorn ist das Licht« produziert. Sie spielten auf FDJ-Großveranstaltungen und bei »Rock für den Frieden« ...
Wir stehen zu all unseren Liedern. Und wir haben diese nicht als Auftragswerke verstanden. »Das Buch« spielen wir heute noch in fast jedem Konzert. Auf dieser LP ist auch »Denke ich an Deutschland«, ein Titel, der sich an Heinrich Heines »Nachtgedanken« anlehnt. Als wir das produzierten, 1984, war das Thema deutsche Einheit nicht mehr oder eben noch nicht wieder up to date.

... ist die heutige Jugend unpolitischer als zu Ihrer Zeit?
Das würde ich nicht sagen. Und ich muss auch sagen, es gab damals in der DDR Politrocker und Liedermacher, die politischer waren als wir. Manche haben es gewagt, Tabus zu brechen, zum Beispiel Renft. Die wurden dann ausgebürgert oder kamen in den Knast. Wir wussten, dass man kein Lied über die Mauer machen konnte, und da haben wir es eben gelassen. Wir haben aber auch mit unseren Partnern von Amiga darüber diskutiert, ob wir ein Lied über Schwule machen könnten. Der damalige Chefredakteur der Plattenfirma sagte: »Mensch, wir sollten froh sein, dass der Paragraf 175 weg ist. Da müssen wir jetzt nicht drin rumrühren.« Okay, dann wurde eben »Der Außenseiter« draus. So »vernünftig« und so »einsichtig« waren wir. Andererseits hat derselbe Chefredakteur von Amiga 1984 entschieden: »Wir packen jetzt das Lied ›Denke ich an Deutschland‹ mit auf die LP.«

Und es wurde zu einer Hymne.
Ja, logisch. Aber es durfte im Osten nicht im Fernsehen oder im Radio gespielt werden. Das Wort »Deutschland« war in der DDR Tabu. Nur das »Neue Deutschland« durfte das Tabu im Kopf tragen. Und nun haben sich also die Leute gewundert: »Warum dürfen die Puhdys das?«

Warum durften sie das?
Na, weil der René Büttner seinen Buckel hingehalten hat.

Wie haben Sie den 9. November 1989 erlebt? In jenem Jahr gaben die Puhdys ja ihre Abschiedstournee – ihre vorläufige. Denn 1992 haben Sie sich wiedervereinigt, es noch einmal gewagt – mit Erfolg.
An dem Abend, als Schabowski den dubiosen Zettel vorgelesen hat, da lag ich im Bett. Ich habe gerade noch mitgekriegt, dass der da irgendwas von Reisefreiheit sagte. Aber dann bin ich eingeschlafen. Und als ich am nächsten Tag wieder aufgewacht bin, war schon alles vorbei. Wir hatten dann allerdings ein Problem: Am 10. November mussten wir nach Mainz fahren. Früher ging das immer relativ schnell an der Grenze. Diesmal stauten sich die Wartburgs und Trabbis. Na ja, wir haben es dann irgendwie doch noch geschafft. Quaster ist vor uns angekommen, denn der hat den Umweg über Prag genommen.

Sie haben den Sturm auf die Mauer verschlafen – mit Westreisen, sogar in die USA, waren Sie privilegiert. Können Sie es verstehen, dass es in jener Nacht viele nicht in den Betten hielt?
Ich habe das nicht als ein Privileg angesehen. Natürlich war es Sch..., dass die Anderen nicht reisen durften. Wirtschaftsleute sind gereist. Und Sportler. Man ist natürlich bemüht, sein Produkt – in unserem Fall die Musik – in der ganzen Welt zu verkaufen. Und dafür haben wir auch lange Jahre gekämpft.

Was war Ihre haarigste Auseinandersetzung in der DDR?
Da kann ich so nicht sagen. Es gab einige Kämpfe und Krämpfe. Manches war schwierig, ging aber dann doch irgendwie. Nach dem Prinzip »Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück« haben wir einiges durchgeboxt. Zum Beispiel, dass schließlich unsere Frauen mit in den Westen fahren durften – erst nur meine und Harrys Frau, dann die Frauen von Maschine und Quaster. Und obwohl es Quasters Frau im Westen so gut gefiel, dass sie dort blieb, durfte beim dritten Mal auch die Frau von Klaus mit.

Bei jeder anderen Band hätte es kein drittes Mal gegeben.
Wir hatten einen kommerziellen Vertrag im Westen. Und waren außerdem eine beständige Truppe. Bei uns wechselten nicht wie bei anderen alle vier Wochen die Bandmitglieder oder Techniker.

Wer in den Westen fahren durfte, entschieden oft die Verwandtschaftsverhältnisse. Der Bruder von Quaster war im Gefängnis ...
... und ist aus dem Knast heraus in den Westen abgeschoben worden. Und Harry Jeske hat selbst mal gesessen, wegen Grenzgängertums. So war es eben. Die Politbüromitglieder hatten das Sagen. Und wenn die meinten: Das geht, dann ging es. Und bei uns ging es trotz allem immer wieder. Das hat Kurt Hager entschieden.

Haben Sie mal bei Erich Honecker aufgespielt?
Nee. Wir waren bei ihm im Staatsratsgebäude 1982, als wir den Nationalpreis bekamen. Gespielt haben wir da nicht, nur brav den Preis entgegengenommen. Danach kamen in unsere Konzerte auch die Funktionäre, die zuvor unsere Musik zu laut fanden.

Was wäre bewahrenswert von der DDR gewesen?
Es gab nicht nur den Grünen Pfeil und das Sandmännchen, sondern eine Menge, was man nicht so radikal hätte eliminieren müssen. Die Eliminatoren sind mittlerweile selbst dahinter gekommen und versuchen, einiges, wie die Kindergärten, wieder zu realisieren. Da wird langsam umgedacht. Als Entschuldigung oder Erklärung dafür, dass 1990 einiges falsch gelaufen ist, könnte man anbringen: Eine Vereinigung dieser Art hat es noch nie gegeben, und es sollte ja auch ziemlich schnell gehen.

»Wenn Träume sterben« produzierten Sie 1977. Welcher Traum ist für sie noch nicht gestorben?
Irgendwann zusammen mit den Rolling Stones in Peking zu spielen. Ich hoffe, die Truppe von Mick Jagger hält bis dahin durch.

Und Sie?
Wir auf jeden Fall. Denn: Das ist keine Ente, wir sind noch nicht reif für die Rockerrente.

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