Kein Platz für Arme

Sozialwohnungen und linkes Zentrum sollen weg aus Münsters Innenstadt

  • Lesedauer: 3 Min.
Bundesweit wird innenstadtnaher Sozialwohnraum zugunsten von Luxuswohnungen vernichtet. In Münster kämpft ein linkes Zentrum gegen seinen Abriss.

Im westfälischen Münster sollen weitere innenstadtnahe Sozialwohnungen abgerissen werden. Davon betroffen ist auch auch das linke Zentrum »Versetzt« in der Grevener Straße 53. Es ist akut von Räumung bedroht – rundum sind mittlerweile alle zum Abriss bestimmten Häuser leer. Der letzte reguläre Mieter im Nachbarhaus zog Ende Februar aus. Sofort rückten Bauarbeiter an, um es unbewohnbar zu machen. Sie zertrümmerten die Scheiben und vernagelten die Fenster. Nun wird es auch für das seit dem Neujahrstag besetzte Zentrum eng.

Die städtische Wohnungsbaugesellschaft zeigte bisher keine Verhandlungsbereitschaft gegenüber den jungen Besetzern. Die lokale Politik ist gespalten. »Wir wollten einen runden Tisch mit Vertretern aller Stadtratsfraktionen einberufen«, erklärte die Sprecherin des »Versetzt«, Silke Frein. Dazu ist es jedoch nicht gekommen. Man wolle nicht mit »Kriminellen verhandeln«, hätten regierende CDU und FDP abgelehnt. Die Grünen und die LINKE solidarisierten sich jedoch mit den friedlichen Besetzern, die SPD sagte Gespräche zu.

Der Abriss der günstigen Wohnungen in der Grevener Straße soll den zentrumsnahen Bereich aufwerten. Die Wohnungsbaugesellschaft will an dieser Stelle neue Häuser bauen. Darin sind zwar weiterhin Sozialwohnungen vorgesehen, aber weniger als bisher.

»Arme Leute werden Stück für Stück aus der Innenstadt verdrängt«, empört sich Silke Frein. Als Beleg sieht sie nicht nur die Grevener Straße, sondern auch die Haushaltspolitik der Stadt. »Sozialen Projekten in Münster werden die Gelder gekürzt, während die Regierenden Prunkbauten durchsetzten.« Auch die neuen Luxusgeschäfte im Zentrum seien ein Ausdruck der Verdrängungspolitik.

Diese »Gentrifizierung« genannte Form der Stadtumstrukturierung ist nicht nur in Münster zu beobachten. Frankfurt am Main und München sind weitere Beispiele. »Diese Entwicklung entsteht überall, wo es auch ein Wachstum von hoch qualifizierten Arbeitsplätzen gibt«, so der Berliner Soziologe Hartmut Häußermann. Gentrifizierung sei ein generelles Problem beim Zugang zu Wohnungen über den Markt, da Menschen mit hohem Einkommen bessere Möglichkeiten bei der Quartierssuche hätten. Eine solche Entwicklung lässt sich am besten an der Infrastruktur erkennen: am Stil und Angebot von Läden, Bars, Cafés und Restaurants. Diese richten sich auf wohlhabende Kundschaft aus, arme Menschen werden in unattraktive Gegenden verdrängt. Häußermann warnt vor einer einkommensbedingten Einteilung der Stadt. »Sie führt auf Dauer zu Ghettoisierung«, so der Experte für Stadtentwicklung.

Auch in Berlin ist Gentrifizierung ein Problem. Rund um den Kollwitzplatz im Bezirk Prenzlauer Berg gibt es keine Alten mehr. Ärmere Menschen können sich die schön sanierten Wohnungen nicht mehr leisten. Und auch an der Zahl der linken Zentren ist die Veränderung ablesbar. »Wo Anfang der 90er Jahre noch über 100 besetzte Häuser waren, sind nur noch wenige selbstverwaltete Wohn- und Kulturprojekte übrig«, heißt es in einem Aufruf zur bundesweiten Freiraum-Demonstration am morgigen Sonnabend in der Hauptstadt.

15 Uhr, Hermannplatz

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