Unaufgeblich-vergebliche Hoffnung

Diese Nacht von Werner Schroeter

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Abend wirft einen langen Schatten. Was dann folgt, entzieht sich jeder Form von Nacherzählung. Werner Schroeter dringt mit diesem Film tief ein in die Nacht des Traums. Lauter seelische Albtraumlandschaften, wie von Goya ans Dunkel geschmiedet. Eine Reise ins »Herz der Finsternis«, von dem niemand sagen kann, wo es denn schlägt. Im Nirgendwo, das uns gewaltsam an sich reißt?

Die Griechen hatten keine hohe Meinung von der Hoffnung. Sie sahen darin eine unerlaubte Entfernung aus unlebbaren Zuständen. Was passiert, wenn der 1945 im thüringischen Georgenthal geborene Werner Schroeter sich das Buch des Uruguayers Juan Carlos Onetti »Para este noche« nimmt und es – zusammen mit dem Kameramann Thomas Plenert – in seine Bilderwelt übersetzt. Eine Atmosphäre aus Angst, Schmerz und Tod entsteht. Das eigentliche Erschrecken des Zuschauers: Es sind schöne Bilder. Schroeter ist ein arger Außenseiter des deutschen Films, der mitsamt seiner Konsequenz im Freilegen von Urbildern in den Abbildern des Alltags inzwischen mehr und mehr ins Überall des Kosmopolitischen emigriert (»Diese Nacht« produzierten eine französische und eine portugiesische Filmfirma).

Je weiter er fortgeht, desto näher rückt Heimat, die unlebbare Nähe zum eigenen Herkommen. Ein Mystiker vom Schlage Meister Eckharts, geworfen ins multimediale Zeitalter, ausgesetzt auf Datenströmen, der Ödnis der globalen Vernichtung jeglicher Ortsbestimmung. Ein Virtuose des Paradoxons. Fassbinder hat über Schroeter gesagt, er habe seinen Platz »irgendwo zwischen Lautréamont, Novalis und Louis-Ferdinand Céline.« Ein Zwischenreich des Poetischen, das eine unpoetische Wirklichkeit mit brutaler Gewalt zerstört. Doch auch in dem Akt der Vernichtung bleibt eine Spur des Poetischen bestehen, jene gefährliche Schönheit des Schreckens, die Ernst Jünger im Lichtschein einer brennenden Stadt erkannte, nachdem sie bombardiert wurde. Das provoziert jedes moralische Empfinden. Aber was anderes kann Kunst denn tun gegen die tatsächlich herrschende Gewalt, den Krieg und das sinnlose Töten seit den Anfängen der Menschwerdung? Was sind Hieronymos Boschs Bilder denn anderes als bizarre Innenansichten der Nachtseite unserer Menschwerdung, die man auch Hölle nennen kann?

Wie Oran in Camus' »Die Pest« ist Santa Maria eine dem Untergang geweihte Stadt. In dieser letzten Nacht, mit dem letzten Zug, der die Stadt erreicht, kommt Luis Ossorio Vignale hierher, ein vormaliger Widerstandskämpfer gegen jene Macht, die am kommenden Morgen von der Stadt Besitz ergreifen wird. Warum? Ist es der Versuch, hier noch etwas zu retten, oder will er sein Scheitern in allen Fasern seines Körpers erleben, ist es purer Todestrieb, der ihn hierherbringt? Wo diese Stadt liegt, welche politischen Konstellationen herrschen, all das erfahren wir nicht. Es geht um einen Archetypus der Auslöschung einer Macht mitsamt der Menschen, die in ihrem Schatten leben. Und Pascal Greggory als Vignale geht wie ein Fremder durch jene Stadt, in der man ihn immer noch kennt. Er blüht gleichsam auf in seinem Staunen über die Verwandlung der Menschen hier, die lauter letzte Dinge zu erledigen haben und es doch nicht glauben können.

Was macht der nahende Tod mit uns? Werner Schroeter kämpfte mit einer schweren Krankheit, als er diesen Film drehte, und wusste wohl nicht einmal, ob und wie er ihn beenden würde. »Diese Nacht« ist ein Film ganz aus Atmosphäre gemacht. Ein Todesreigen. Inmitten des Verfalls, der panischen Versuche, dem Unheil noch zu entrinnen, kommt einer hierher, nicht als Retter, aber als Suchender, ein faszinierend Gelassener, der inmitten der wachsenden Panik wahrnehmungsfähig bleibt und darum unerhörte Erfahrungen macht. Und dabei fallen alle bisherigen Maßstäbe ins Nichts. So klingt es in dem surrealen Gesang des gefallenen Engels Maldoror, dessen schwarze Schönheit Lautréamont besang: »Ist meine kranke Vernunft dem Wahnsinn verfallen, ist es ein geheimer Instinkt, auf den meine verständige Einsicht keinen Einfluß hat, dem Instinkt des Adlers gleich, der seine Beute zerfleischt, der mich zu diesem Verbrechen getrieben hat, und doch litt ich ebensosehr wie mein Opfer!«

Es ist ein heilendes Wissen, das nichts bewirkt, das nichts abwendet, das den baldigen Tod nicht verhindern kann – und doch eine Gesundung ist, von einem, der am Ende klarer blickt. Eine große Allegorie, ein ungewöhnlicher, ein tief unzeitgemäßer und darum so notwendiger Film! Die Apokalypsevisionen eines Thüringers des Weltkinos, der für diese Todesangst-Überwindungselegie beim Filmfestival in Venedig 2008 den Großen Preis der Jury erhielt.

Von bedrängender Gegenwart bleibt »Diese Nacht« als Bild einer realen lateinamerikanischen Stadt im Bürgerkrieg, mitsamt marodierendem Militär und einer mit allen Machtparteien gleichzeitig konspirierenden Geheimpolizei – und als Symbol für ein nahendes Unheil schlechthin, ein Labyrinth, in dem sich heillos verläuft, wer zu fliehen versucht. Wer ausharrt jedoch, der beginnt anders zu sehen. Dieser eine beweist, dass der Mensch zwar seiner Umwelt ausgeliefert bleibt, aber doch darum nicht aufhört, er selbst zu sein. Schroeter über die Entscheidungssituation, um die es in dieser einen, der letzten Nacht für den Einzelnen geht: »Auch einem verwundeten Menschen bleibt stets die Wahl, sich Gewalt, Brutalität und Bestialität zu widersetzen, doch nur allzu oft fällt auch er ihnen anheim. Und diejenigen, die dieser Gewalt verfallen sind, haben alle utopische Hoffnung fallen lassen – Hoffnung als die einzige Möglichkeit, Leben, Liebe und Leidenschaft aufrecht zu erhalten und den Tod mit Würde zu ertragen.«

Ein einziges Schiff noch wird diese Stadt voller Flüchtlinge verlassen, die sich am Hafen drängen. Gegen morgen legt es aufreizend langsam vom Kai ab – so leer, wie es kam, fährt es wieder fort. Ein erschütterndes Bild der Vergeblichkeit wie der Unaufgeblichkeit aller Hoffnung.

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