Marzahn-Hellersdorf abgerutscht

Sozialstrukturatlas vorgestellt: Pankow vorn, Neukölln und Mitte weiter auf den hinteren Plätzen

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 4 Min.

In Friedrichshain-Kreuzberg hat sich die soziale Lage zwar verbessert, trotzdem sieht es für die Menschen im Bezirk noch lange nicht gut aus. Das ist das Ergebnis von Untersuchungen für den Sozialstrukturatlas, der gestern von den Linkspartei-Senatorinnen Heidi Knake-Werner (Soziales) und Katrin Lompscher (Gesundheit) vorgestellt wurde. Der erste Atlas dieser Art erschien 2003.

Insgesamt ist die soziale und wirtschaftliche Situation in den vergangenen fünf Jahren schlechter geworden. »Vieles ist eingetreten, was wir befürchtet haben«, sagte Knake-Werner. »Einen großen Anteil daran haben die Hartz-IV-Gesetze«, so die Senatorin. »Die Opposition wird jetzt sagen, dass das natürlich nur eine rot-rote Regierung so hinkriegen kann«, meinte dazu Katrin Lompscher. Tatsache sei allerdings, dass diese Gesetze Bundessache seien und deshalb kaum zu ändern.

»Berlin stellt sich sehr differenziert dar«, erläuterte Gerhard Meinlschmidt von der Senatsgesundheitsverwaltung. Der Professor erarbeitete den Sozialstrukturatlas und ist Leiter des Referats an der Berlin School of Public Health der Charité. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist empirische Wirtschafts- und Sozialforschung. »Die Ergebnisse der Untersuchungen sind Grundlage für den Senat, um den schlechter gestellten Menschen zu helfen, wegen geringen Einkommens nicht abzurutschen«, sagte er.

Am weitesten abgerutscht ist Marzahn-Hellersdorf. Im Vergleich zu 2003 stieg der Bezirk um vier Plätze ab Den höchsten Sprung nach oben machte Pankow. Auf den hinteren Plätzen liegen weiterhin die Bezirke Mitte mit Wedding und Tiergarten sowie Neukölln. Am besten geht es laut Sozialstrukturatlas den Bewohnern von Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf..

»Marzahn-Hellersdorf ist der Bezirk, in dem im berlinweiten Vergleich die meisten Menschen ihren Arbeitsplatz verloren haben«, erklärte Meinlschmidt den Abstieg in der Sozialstruktur. In Friedrichshain-Kreuzberg dagegen wurde der höchste Rückgang der Arbeitslosigkeit registriert, aber die Altersarmut nimmt zu. In Neukölln sei der höchste Anteil der Arbeitslosen unter den Migranten zu finden. »Wir haben eine dramatisch hohe Anzahl an Transferleistungen«, sagte Sozialsenatorin Knake-Werner.

Vor der Finanzkrise habe Berlin eine positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt mit leichtem Rückgang der Arbeitslosigkeit erlebt. Negative Auswirkungen haben der 540 Seiten starken Untersuchung zufolge solche Bundesgesetze wie Gesundheitsreform und Zuzahlungsregelung. So werde ein Zwei-Klassen-System geschaffen. Vor allem alte Menschen und Familien mit Kindern lebten oft am Rande des Existenzminimums. Inzwischen gebe es in jedem Bezirk soziale Brennpunkte.

Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg sind laut Atlas die Bezirke mit dem höchsten Status. Dort leben 18 Prozent der Berliner Bevölkerung. Als nächste folgen Charlottenburg-Wilmersdorf, Mitte und Treptow-Köpenick.

Als eines der größten Probleme der Stadt bezeichnete Knake-Werner die Kinderarmut. »Rund 700 000 Familien leben von Sozialleistungen, davon sind 180 000 Kinder«, so Knake-Werner. Die Regelsätze für Kinder von Hartz-IV-Empfängern seien viel zu niedrig, kritisierte die Senatorin. In Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln und Mitte lebe jedes zweite Kind in Hartz IV-Haushalten. »Wir müssen aufpassen, dass Menschen mit wenig Einkommen nicht noch mehr an den Rand gedrängt werden«, warnte sie. Unterstützt würden zum Beispiel Schulkinder von Geringverdienern. Die müssten in Ganztagsschulen nur 23 Euro pro Monat fürs Mittagessen zahlen. »Wer auch das nicht aufbringen kann, kriegt's kostenlos«, sagte Knake-Werner.

Vom Tisch sei auch, dass Hartz-IV-Empfänger bei Erhöhung der Nebenkosten sich eine andere Wohnung suchen müssten. »Aus finanziellen Gründen sollen Familien nicht umziehen müssen«, so der Wunsch der Sozialsenatorin.

  • Das Einkommen der Berliner liegt im Durchschnitt bei 900 Euro und damit im Vergleich zu anderen Städten niedrig. Allerdings sind die Mieten hier auch geringer.
  • Die beste Gegend liegt an der Krummen Lanke in Zehlendorf, Problemkiez Nr. 1 ist das Rollbergviertel in Neukölln.
  • Die Arbeitslosenquote variiert zwischen 2,2 Prozent in der Gegend um die Thielallee in Zehlendorf, 25,5 Prozent in Hellersdorf.
  • Die meisten Ausländer oder Menschen mit ausländischer Herkunft leben in Mitte (45 Prozent). Um die Reinickendorfer Straße in Wedding sind es 67 Prozent..
  • Nur fünf Prozent der Berliner haben keinen Schulabschluss.

Quelle: Sozialstrukturatlas

Im Internet: www.berlin.de, Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales

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