Arbeitszeitreform gescheitert

Regierungen der EU-Länder setzen sich gegen Parlament durch

  • Susanne Götze, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Status quo im EU-Arbeitsrecht bleibt bestehen: Gestern scheiterten nach langwierigen Verhandlungen die Bemühungen des Europäischen Parlamentes, die Arbeitszeitrichtlinie zugunsten der Arbeitnehmer zu reformieren.

Die Novellierung der Arbeitszeit-richtlinie ist in der Nacht zum Dienstag nach fünf Jahren harter Auseinandersetzungen endgültig gescheitert. Der Widerstand der nationalen Regierungen im Europäischen Rat gegen die arbeitnehmerfreundlichen Reformen der EU-Parlamentarier war letztendlich zu stark. Auch in der dritten Runde des Vermittlungsverfahrens zwischen beiden Institutionen konnte keine Einigung erzielt werden. Deshalb bleibt die bisherige Arbeitszeitrichtlinie von 2003 in Kraft.

Nach den bisherigen Regelungen ist die Wochenarbeitszeit zwar auf 48 Stunden begrenzt, lässt aber Ausnahmen – sogenannte opt-outs – von bis zu 78 Stunden zu. Das Parlament hatte sich ursprünglich dafür eingesetzt, die Ausnahmereglungen innerhalb von drei Jahren auslaufen zu lassen und dann – außer für bestimmte Führungskräfte – 48 Stunden als maximale Arbeitszeit gelten zu lassen. Zuletzt hatten die Parlamentarier als Kompromiss sieben Jahre als Übergangszeit angeboten. Der Ministerrat hatte aber darauf bestanden, dass Arbeitnehmer in Ausnahmefällen weiterhin bis zu 60 bzw. 65 Stunden – im Durchschnitt eines Dreimonatszeitraums – in der Woche arbeiten dürfen.

Die Ausnahmereglungen zur maximalen Arbeitszeit hatte Großbritannien schon 1993 durchgesetzt. Die britische Regierung verteidigte nun auch zusammen mit Deutschland die »opt-outs«. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte die deutsche Regierung im Vorfeld aufgefordert, ihre Blockadehaltung gegen die Reformen aufzugeben. Hätte Deutschland eingelenkt, wäre die Novelle aller Wahrscheinlichkeit nach zu retten gewesen. »Dies ist ein schwarzer Tag für das soziale Europa und für Millionen Arbeitnehmer, die auf bessere Arbeitsbedingungen gehofft hatten«, so die DGB-Vizevorsitzende Ingrid Sehrbrock. Der Preis einer Einigung sei einfach zu hoch gewesen. Die Bundesregierung habe sich wieder einmal als einer der schärfsten Gegner europäischer Mindestarbeitsbedingungen gezeigt. Am 16. Mai wolle man in Berlin auch für gerechtere Arbeitsbedingungen in der EU demonstrieren.

Derzeit nutzen 15 der 27 EU-Staaten die Ausnahmeregelungen zur Arbeitszeitverlängerung. EU-Beschäftigungskommissar Vladimir Spidla geht davon aus, dass zukünftig noch mehr Staaten die »opt-outs« in Anspruch nehmen werden. Außerdem werde es keine zusätzlichen Schutzmaßnahmen für Beschäftigte geben, die länger arbeiten. Dies hatte der Ministerrat angeboten. Durch das Scheitern bleibt nun alles auf einem unbefriedigendem Status quo.

Uneinig waren sich beide Institutionen auch über die Anrechnung von Bereitschaftsdiensten. Das Parlament forderte eine volle Anrechnung auf die Arbeitszeit, während der Ministerrat dies ablehnte. Dabei hatte der Europäische Gerichtshof in mehreren Einzelfällen die Anrechnung der Bereitschaft für rechtens erklärt.

EP-Berichterstatter Alejandro Cercas kritisierte den Ministerrat in einer parlamentarischen Debatte im Dezember: Seine Vorschläge seien eine »Aushöhlung der internationalen Abkommen« und außerdem eine Rückkehr in die Arbeitssituation des 19. Jahrhunderts.

Da keine Einigung mit dem Rat erreicht wurde, kann die novellierte Richtlinie nächste Woche in Straßburg nicht abgestimmt werden. Die Kommission muss nun nach den Europawahlen einen neuen Vorschlag erarbeiten und diesen dem Parlament und dem Ministerrat wieder vorlegen.

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