Das Jahr der unrechtmäßigen Überwachung

Zahl der Datenschutzverstöße auf Höchststand / Bahn droht saftiges Bußgeld

  • Katharina Zeiher
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Zahl der bekannt gewordenen Verstöße gegen den Datenschutz ist im vergangenen Jahr weiter angestiegen. Das gab der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Alexander Dix, gestern bei der Vorstellung des Jahresberichts 2008 bekannt. Demnach wandten sich im vergangenen Jahr 1458 Menschen mit datenschutzrechtlichen Problemen an den Landesbeauftragten. Fünf Jahre zuvor hatte es nur 924 Petitionen gegeben. Angesichts der steigenden Zahlen und des Ausmaßes der Fälle sagte Dix: »Noch nie war eine unabhängige Datenschutzaufsicht so wichtig wie heute.«

Als »Jahr der Datenskandale« bezeichnete Dix 2008. Bei der Telekom und der Deutschen Bahn waren unter anderem Bespitzelungen von Mitarbeitern und Journalisten aufgedeckt worden. »Keine dieser Überwachungsmaßnahmen war rechtmäßig«, so Dix. Die Überprüfung der Fälle sei nach wie vor nicht abgeschlossen, betonte er. Derzeit prüfe der Landesbeauftragte wegen rechtswidriger Speicherung personenbezogener Daten ein Bußgeldverfahren gegen die Deutsche Bahn. Sollten Bußgelder verhängt werden, drohten bis zu 250 000 Euro pro Fall.

Ein Hauptarbeitsgebiet des Landesbeauftragten war 2008 die Verfolgung von Anbietern kriminell beschaffter personenbezogener Daten, die zu Werbezwecken missbraucht werden. Leider habe sich Berlin zu einer »Hochburg rechtswidrig arbeitender Call-Center« entwickelt, so Dix. Er appellierte an die Politik, hier gesetzlich nachzubessern und »dem Druck der Wirtschaft keinesfalls nachzugeben«. Dix forderte zudem, den Strafrahmen für Verstöße gegen den Datenschutz drastisch zu erhöhen.

Der Datenschutz im Internet beschäftigte den Landesbeauftragten auch im vergangenen Jahr. Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook oder StudiVZ sollen nach dem Willen von Dix verpflichtet werden, ihre Nutzer und Nutzerinnen auf Risiken der Freigabe persönlicher Daten hinzuweisen. Von einer »Illusion der Intimität« sprach Dix im Hinblick darauf, dass Informationen und Fotos aus dem Persönlichkeitsprofil von Fremden grundsätzlich für beliebige Zwecke weiterbenutzt werden könnten. Der Landesbeauftragte empfahl allen Nutzern, mit der Veröffentlichung persönlicher Daten zurückhaltend umzugehen, Pseudonyme zu verwenden und sich eingehend über den Anbieter zu informieren.

Von einer »regelrechten technischen Aufrüstung« sprach Dix im Zusammenhang mit Videoüberwachung. Privat wie öffentlich sei eine starke Zunahme von Kameras zu verzeichnen. »Völlig unzulässig« sei es insbesondere, wenn »total und lückenlos« etwa das Pausenverhalten von Angestellten im Einzelhandel überwacht werde.

Die Gefährdungen der Bürger durch Arbeitgeber, Unternehmen und private Internetanbieter seien zu lange unterschätzt worden, betonte Dix. Ein Fehler wäre es jedoch, die Risiken der staatlichen Datenverarbeitung künftig zu vernachlässigen. Sicherheitsbehörden bekämen immer weiter gehende Eingriffsbefugnisse. Auch Verstöße gegen den Datenschutz in Schulen und Universitäten werden im Bericht berücksichtigt. So hatte eine Lehrerin ihre Klasse dazu aufgefordert, in einer anonymen Befragung angebliche »Störer« zu denunzieren. Die Fragebögen wurden anschließend ausgewertet und gespeichert – »unzulässig«, so Dix.

Die Praxis der Jobcenter nahm der Datenschutzbeauftragte im vergangenen Jahr zum wiederholten Mal unter die Lupe. Die Jobcenter seien verpflichtet, vertrauliche Gespräche zwischen Leistungsempfängern und Mitarbeitern zu gewährleisten. Auch sei es zulässig, dass Antragsteller Passagen ihrer Unterlagen schwärzten.

Angesichts des neuen Höchststands bei den Petitionen und den öffentlichen Reaktionen auf die Datenskandale zeigte sich Dix optimistisch. Dies sei ein Indiz für ein gestiegenes Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger bei datenschutzrechtlichen Fragen.

Die Grünen-Fraktion forderte den Senat auf, angesichts der steigenden Zahlen den Datenschutzbeauftragten personell und rechtlich zu stärken.

www.datenschutz-berlin.de

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