Paul Flora: Rabenschwarze Helle

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Regen träumte davon, so schön, so gespenstisch, so nebelfein die Welt schraffieren zu können. Die Vögel wünschten sich, derart spitze Federn zu besitzen. Jede Unschuldige hätte etwas dafür gegeben, auf diesen Strich zu gehen. Jeder Einsame, jeder Abseitige, jeder Weltfremdling sehnte sich nach Teilnahme an diesem Linien-Verkehr. Es war zum Lachen, was er aus der Welt herauskitzelte. Die Welt war aber auch zum Weinen, wenn er sie kritzelte.

Paul Flora war der Kafka unter den Karikaturisten, der poetische Zeichengeber unter den Zeichnern. Die kahlen Bäume sind Krallen, Lebensgeistergalgen; die Schneelandschaften schlucken, was sie kriegen, Vendig ist eine Geisterstadt. Die Menschen? Entweder platzen sie gleich vor eingebildeter Fülle, oder sie gleichen ausgerissenen Fliegen- und Spinnenbeinen, die nicht mehr länger herumliegen wollen, sich einen Hut aufsetzen und ein spillriges Eigenleben beginnen, als Skiläufer, verhärmte Dichter, huschende Spitzel, zittrige Abenteurer. Alles der verträumte Stoff einer endlosen Karawanserei der Ruhelosen, von Albträumen Getriebenen.

Flora, 1922 in Südtirol geboren, hatte ein europaweit gerühmtes Gespür für Geflecht und Gespinst – er schuf traurig-komische K.u.K.-Zeit-Zeichungen, als führe ihm Joseph Roth die Hand; er hat Mörder und Mystiker durch Düsternisse schleichen lassen, als sei Hitchcock sein Regisseur; er ließ in schwarzer Gegend gelbe Monde aufsteigen, als wolle er Caspar David Friedrich durch die öde Moderne schmuggeln. Sein Witz war geisteshelle Raben-Schwärze, Farbe des Lieblingsvogels, der durch diese Zeichnungen fliegt wie ein Bote E.T.A. Hoffmanns.

Fast dreißig Bücher gab er bei Diogenes Zürich heraus, und er kommt aus einem nicht mehr vorstellbaren Zeitungs-Jahrhundert: Vierzehn Jahre lang zierte eine Flora-Zeichnung die Titelseite der »Zeit«. Am vergangenen Freitag starb der grandiose Paul Flora in Innsbruck, sechsundachtzig Jahre alt.

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