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Überzeugtheit, Wissen, nie Bitternis

Stefan Doernberg wird 85, Hans Modrow schrieb ihm einen Geburtstagsbrief

  • Lesedauer: 6 Min.
Lieber Stefan,
Stefan Doernberg
Stefan Doernberg

wenn wir auf deutsche Geschichte schauen, dann gehörst du zu den wenigen Deutschen, die mit der Waffe gegen den deutschen Faschismus in den Reihen der alliierten Streitkräfte gekämpft haben. Als Offizier in den Reihen der Roten Armee hast du an der Befreiung Europas vom faschistischen Joch teilgenommen.

Dein Weg in der Roten Armee als Staatsbürger der UdSSR und Mitglied der KPdSU hat aber noch weitere Besonderheiten. Du hast die letzte große Schlacht des Zweiten Weltkrieges um Berlin erlebt und warst dabei, als das faschistische Deutschland kapitulieren musste. Berlin hätte in diesen Tagen allen Grund, einen solchen Bürger dieser Stadt, Achtung und Ehre zu erweisen.

Menschen, die wie du gekämpft und gewirkt haben, gaben nach dem Zweiten Weltkrieg Millionen Deutschen eine neue, antifaschistische Orientierung. Das galt auch und gerade für meine Generation. Da wurde nichts verordnet, es ist vielmehr etwas Neues gewachsen.

Du warst noch immer Offizier der Roten Armee und dem wohl oft undurchschaubaren Dickicht innerer Konflikte ausgesetzt. Die SED-Führung wollte dich auf neue Wege führen, aber die Rote Armee und der sowjetische Staat hielten an seinem Bürger deutsch-jüdischer Herkunft fest. Im März 1953 starb Stalin. Uns drängte es danach, an seiner Bahre Abschied zu nehmen, während dich schon eine Ahnung von Distanz ergriff. In deinen Erinnerungen ist diese Distanz spürbar. Je mehr du über die Verbrechen der Stalin-Zeit erfährst, je stärker du dich mit dieser Zeit als Historiker auseinandersetzt und mit eigenen Erlebnissen beschäftigst, umso klarer und schärfer ist deine kritische Betrachtung geworden. Das Wort vom Stalinismus ist für dich nicht das Ergebnis historischer Forschung, sondern ein antikommunistischer Kampfbegriff, der vor allem heute gegen die Linke ins Feld geführt wird.

Viel ließ sich über die verschiedenen Stationen deines Wirkens sagen. Du warst Wissenschaftler, Politiker und Diplomat in einer Person. Deutsche Geschichte, besonders die der DDR, hatte es dir angetan, wie viele deiner Veröffentlichungen nachweisen.

Deine Beratung in der Politik und Lehrtätigkeit für die Ausbildung von Diplomaten und Verantwortlichen in staatlicher Tätigkeit hat in der DDR hohe Anerkennung gefunden. Das Ende der DDR hast du, wie viele andere Bürger mit großer Betroffenheit erlebt. Es beschäftigt den Historiker, marxistischen Sozialisten und einstigen Bürger der DDR bis in die Gegenwart. Der Weg durch die Parteien, von der KPdSU, der SED, der PDS, der Linkspartei.PDS in die Partei DIE LINKE hat dich immer beschäftigt, war mit Zweifel verbunden, aber er hat dich nicht zur Bitternis geführt.

Seit vielen Jahren gehörst du dem Ältestenrat der Partei an und warst und bist einer seiner Sprecher. Wie die Praxis zeigte und noch heute zeigt, ist Rat geben da schwer, wo nach Rat nicht gefragt wird. Mehr denn je zeigt sich aber, wenn von oben nicht um Rat gebeten wird, unten an der Basis sind Erfahrungen und Erkenntnisse, die im Leben und aus den Kämpfen der Arbeiterbewegung entstanden sind, sehr gefragt.

Du hast im heißen Krieg gegen den deutschen Faschismus gekämpft und etwas von der Ehre der deutschen Arbeiterbewegung mit gerettet. Du hast den Kalten Krieg von Anfang bis Ende erlebt und warst selbst nie ein »Kalter Krieger«.

Noch als du der Roten Armee angehörtest, ob in Schwerin, Erfurt oder in Berlin war das Bestreben der Sowjetunion bei allen Widersprüchen und der Kompliziertheit der jeweiligen Situation auf die Bewahrung des Friedens gerichtet. Das gilt z.B. auch für den so umstrittenen 13. August 1961. Wer hier nur die DDR und die BRD mit ihren Gegensätzen sieht und nicht versteht, wie tief die Gegensätze der beiden Supermächte USA und UdSSR sowie ihrer militärischen Blöcke NATO und Warschauer Vertrag waren, der wird auch nicht begreifen, wie nahe die Welt einem erneuten heißen Krieg war. Hier waren sich Berlin und Havanna sogar sehr nahe, denn ein Jahr später stand die Welt mit der Kuba-Krise am Rande eines Atomkrieges. So klein gebacken, wie manche Geister es möchten, ist die konfliktreiche Zeit von damals nicht zu haben. Wo Geschichte nur noch Mittel der Politik ist, da geht es nicht um Wahrheit und Zusammenhänge, sondern um politische Interessen, was Macht stützen und erhalten soll. Auch Anpassung kann ins Spiel kommen, wenn Zugeständnisse gemacht und klärenden Auseinandersetzungen ausgewichen wird. Ein solcher Zug geht dem Professor für Geschichte, Stefan Doernberg, zu Recht gegen den Strich.

Bald nach der Gründung der Partei DIE LINKE wurde ein neuer Ältestenrat berufen. Den politischen Umständen geschuldet, ging die Vereinigung unserer beiden Parteien zu schnell, um vorher gemeinsame inhaltliche Debatten zu führen. Wie wir in einem ersten Resümee im Ältestenrat feststellen konnten, sind wir uns aber näher gekommen. Es wächst gegenseitiges Verständnis und Achtung und gemeinsame Arbeit trägt Früchte. Noch bleibt viel zu tun, um ein solches Klima in der ganzen Partei zur Entfaltung zu bringen. Dein Jubiläum und dein Wirken in der Partei und in der Öffentlichkeit werden dafür ein wichtiger Beitrag sein. Wir möchten als Ältestenrat mit unserer erstmaligen festlichen Veranstaltung dir ein herzliches Dankeschön für Mühe und Einsatz sagen. Einige Male stand der Ältestenrat vor der Frage, aufhören oder weitermachen; ohne dein Tun hätte die erste Variante eintreten können. Als wir uns neu konstituierten, meinten einige unserer Westgenossen, nun rückt der Osten mit einer Professorenmacht ein. Inzwischen haben alle von einander gelernt und du hast viel dazu beigetragen.

Wenn von Dank gesprochen wird, lasst mich noch auf eine Sache verweisen. Wir wollen in unseren Dank auch alle Weggefährten einbeziehen, die wie du in den Reihen der Roten Armee gegen den Faschismus gekämpft haben. Conny Wolf hat mit seinem Filmwerk »Ich war 19« ein unvergessliches Erbe hinterlassen. Moritz Mebel kam aus der Roten Armee und ist in der DDR ein Arzt und Wissenschaftler von internationalem Ruf geworden.

Wenn DIE LINKE es ernst damit meint, sich den Traditionen der deutschen und der internationalen Arbeiterbewegung zu stellen, dann gehören die deutschen Antifaschisten, die in den Reihen der alliierten Streitkräfte gekämpft haben, in vorderster Reihe mit dazu.

Stefan Doernberg wurde am 21. Juni 1924 in Berlin geboren. Bestimmend für seinen Lebensweg war die Emigration seiner Familie – sein Vater war KPD-Funktionär – 1935 in die UdSSR. Stefan Doernberg legte in Moskau das Abitur ab und besuchte einen Lehrgang an der Parteischule der Komintern. Als Offizier der Roten Armee kam er nach Deutschland. Bis 1950 war er Redakteur bei der Täglichen Rundschau, nahm ein Fernstudium an der Lomonossow-Universität auf und übernahm 1955 den Lehrstuhl für Geschichte am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, wo er 1959 promovierte. 1961 wechselte er zum Institut für Zeitgeschichte, dessen Direktor er von 1962 bis 1971 war. Dann am Institut für Internationale Politik und Wirtschaft und von 1976 bis 1982 Direktor des Instituts für internationale Beziehungen an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften Potsdam. Gleichzeitig war Prof. Stefan Doernberg außenpolitisch aktiv: von 1971 bis 1982 als Generalsekretär und später Vizepräsident des DDR-Komitees für europäische Sicherheit und Zusammenarbeit und von 1983 bis 1987 als Botschafter in Finnland. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, zuletzt seine Erinnerungen »Fronteinsatz«.

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