Fernab des rosa Mainstreams

Linke Lesben und Schwule setzen auf Alternativen zu Ausgrenzung und Kommerz

  • Markus Bernhardt
  • Lesedauer: 2 Min.
Am Wochenende feiert sich in Berlin erneut die Schwulen- und Lesbenszene. Der Christopher-Street-Day (CSD) wird von manchem aber mit großer Skepsis betrachtet – nicht wegen der sexuellen Vorlieben der Beteiligten, sondern wegen der politischen Positionierung der dort lautstark auftretenden Berufsfunktionäre aus den Reihen der Lesben- und Schwulenszene.

Wer früher die ambitionierte Manifestation von Schwulen und Lesben schätzte, den befällt angesichts der Christopher-Street-Days, die dieser Tage quer durch die Republik stattfinden, bestenfalls ein Gefühl von Desinteresse. Haben sich die vormals politischen Demonstrationen doch mitunter zu karnevalesken Umzügen entwickelt.

Lesben, Schwule und Transsexuelle hatten sich vom 28. auf den 29. Juni 1969 als Reaktion auf eine Polizeirazzia in der New Yorker Christopher-Street erstmalig militant gegen staatliche Diskriminierung gewehrt. Eben dieser politische Hintergrund der homosexuellen Emanzipationsbewegung wird heute jedoch vollkommen ausgeblendet. In Berlin setzen die CSD-Veranstalter am Sonnabend gar auf das befremdlich anmutende Motto »Stück für Stück ins Homoglück«. Ob besagtes »Homoglück« vielleicht die Ausgrenzung von HIV-Infizierten, Migranten oder sozial Deklassierten in der eigenen Szene meint, bleibt dabei das Geheimnis der Organisatoren.

Aus Kritik an den Folkloreveranstaltungen der Schwulen- und Lesbenszene, die aktuell irgendwo zwischen Karneval, Loveparade, Werbeveranstaltungen für Kosmetikhersteller und Massenbesäufnissen zu verorten sind, haben sich mancherorts alternative CSD-Demonstrationen etabliert, die einen politischen Gegenpol zu besagten Umzügen darstellen und massive Kritik an der stets zunehmenden Kommerzialisierung und Ausgrenzung formulieren.

Wie in den Vorjahren, werden am Sonnabend beispielsweise in Berlin – parallel zum Groß-CSD – wieder mehrere hundert Lesben, Schwule und Transgender im Rahmen des »Transgenialen CSD« durch Kreuzberg ziehen. Organisiert wurde diese politische Demonstration in diesem Jahr maßgeblich von der Gruppe »Gays & Lesbians aus der Türkei« (GLADT). Diese engagiert sich seit Jahren gegen rassistische Ausfälle der etablierten Homoszene und stellt de facto einen Gegenpol zum Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Berlin-Brandenburg und dem selbst in der Homoszene umstrittenen selbsternannten Anti-Gewaltprojekt Maneo dar, dem seitens linker Kritiker bereits mehrfach rassistische Stimmungsmache bescheinigt wurde.

»Die Kommerzialisierung des bürgerlichen CSD geht einher mit einer Mainstream-Orientierung, bei der herkömmlicherweise Frauen-, Lesben- und Trans-Themen keinen Platz finden«, begründet Tülin Duman, Geschäftsführerin von GLADT, das Engagement beim »Transgenialen CSD« im Gespräch mit ND. Zudem sei es an der Zeit, auch »innerhalb linker Queer-Szenen die Sensibilität für Menschen mit Mehrfachzugehörigkeiten zu erhöhen«, schließlich sei »nicht automatisch klar, dass dort alltägliche Ausprägungen von Rassismus oder ethnischer Diskriminierung wahrgenommen« würden, so Duman weiter.

Am Sonnabend jedenfalls sollen neben Homo- und Transphobie auch die internationale Finanzkrise, Abschiebungen oder die Anliegen von Sexarbeiterinnen thematisiert werden, kündigten die Organisatoren an.

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