»Die Menschen in den Förderregionen dürfen nicht übergangen werden«

Ecuadors Umweltministerin Marcela Aguiñaga über die Tücken der Erdölförderung

  • Lesedauer: 5 Min.
Marcela Aguiñaga ist Umweltministerin Ecuadors
Marcela Aguiñaga ist Umweltministerin Ecuadors

ND: Frau Aguiñaga, Sie sind eine der vehementesten Fürsprecher der Yasuní-ITT-Initiative. Nach diesem Vorhaben sollen 850 Millionen Barrel Erdöl im ecuadorianischen Yasuní-Nationalpark im Boden bleiben, sofern Industriestaaten im Gegenzug CO2-Zertifikate kaufen. Mit welcher Resonanz?
Aguiñaga: Wir werben nun seit einem Jahr für dieses Vorhaben. Es gibt dabei drei hauptsächliche Ziele: Erstens wollen wir die indigenen Völker in dem Gebiet der Erdölvorkommen schützen und wir wollen weiteren Schaden von der Gesellschaft abwenden. Zweitens geht es darum, wertvolle Naturgebiete zu schützen – wertvoll nicht nur für unser Land, sondern für den ganzen Planeten. Drittens sollen durch die ausbleibende Förderung des Erdöls CO2-Emissionen in Höhe von 410 Millionen Tonnen vermieden werden.

Sie schlagen nicht weniger als einen Bruch mit der bisherigen Energiepolitik vor!
In der Tat wollen wir mit dieser Initiative eine Abkehr von dem förderorientierten Modell erreichen, das immer mehr Erdöl und Erdgas aus dem Boden zu holen anstrebt. Dieser Ansatz ist absolut neuartig. Zu Beginn hatten wir nur auf Spenden aus der Zivilgesellschaft gesetzt. Ziel war es von Beginn an, 50 Prozent Betrages zu sammeln, den wir einnehmen würden, wenn das Öl aus dem Boden gepumpt würde. Diese Entschädigungszahlungen belaufen sich auf 350 Millionen US-Dollar pro Jahr für einen Zeitraum von zehn Jahren. Dafür werben wir jetzt im Ausland.

Nur in Deutschland?
Nein, auch Staaten wie Spanien, Frankreich und Großbritannien haben Interesse an dem Modell signalisiert. Unsere Initiative hat einen multilateralen Ansatz, sie funktioniert aber auch bilateral. Deutschland hat uns dabei stets sehr unterstützt. Nun geht es darum, über konkrete Zahlen zu sprechen, um finanzielle Beteiligung.

Sie wollen zusätzlich auch CO2-Zertifikate verkaufen. Das ist neu ...
… weil uns erst später klar wurde, dass wir unsere Idee in die Debatte um Emissionsvermeidung einbringen können. So ist das Modell der Yasuní-CO2-Zertifikate entstanden. Jede vermiedene Tonne Kohlenstoffdioxid soll mit 17 US-Dollar vergolten werden. Wir würden also rund 6,9 Milliarden US-Dollar zum Schutz des Regenwaldes einnehmen. Wichtig ist, dass all dieses Geld in einem Treuhandfonds zweckgebunden ist.

Die Yasuní-Initiative setzt damit auch neue Akzente in der Debatte über das Kyoto-Protokoll. Bei diesem Abkommen haben sich die 36 Unterzeichnerstaaten nur verpflichtet, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Sie wollen sie grundsätzlich vermeiden.
In dem Text des Kyoto-Protokolls ist an keiner Stelle von der »Vermeidung« von Emissionen die Rede. Dennoch muss man zugestehen, dass sich auch die Debatte um das Kyoto-Protokoll weiterentwickelt hat. Anders als zu Beginn wurde etwa das Thema der Abholzung von Urwäldern aufgenommen. Uns aber geht es um die grundsätzliche Vermeidung von Umweltzerstörung und atmosphärischer Verschmutzung.

Kann das regional begrenzte Modell Yasuní-ITT neue Impulse in der Klimadebatte geben?
Ich bin davon überzeugt, dass wir dazu beitragen werden! Allerdings ist dafür ein politisches Abkommen mit den Staaten der Europäischen Union notwendig. Denjenigen, die uns unterstützen, muss die Tragweite klar sein: Die Nicht-Förderung von fossilen Energieträgern ist ein völlig neuer Ansatz, der erhebliche Auswirkungen auf die Klimadebatte haben kann.

Vor einem Jahr wurde die deutsche Regierung mit einem parteiübergreifenden Antrag im Bundestag aufgefordert, Ihre Pläne zu unterstützen. Während Ihres Aufenthalts in Berlin sind Sie nun mit Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) zusammengekommen. Mit welchen Resultat?
Der Minister Gabriel hat sich optimistisch geäußert. Er ist jemand von denen, die uns sehr unterstützen. Allerdings bekommen wir nicht nur von Regierungsseite Zuspruch, sondern auch von Nichtregierungsorganisationen und Persönlichkeiten auf internationaler Ebene.

Wie reagieren eigentlich die anderen Staaten der Region? Venezuela und Bolivien sind schließlich Exporteure von Erdöl und Erdgas.
Unsere Initiative wurde in der Region mit Interesse aufgenommen. Allerdings kann sie nicht ohne weiteres kopiert werden, denn es sind verschiedene Voraussetzungen nötig: Im potenziellen Fördergebiet müssen – wie im Yasuní-Nationalpark, der von der UNESCO als Biosphärenreservat anerkannt ist – erhebliche Naturressourcen vorkommen. Und es müssten in dem Gebiet indigene Gruppen leben. Bei uns gibt es sogar zwei indigene Gruppen, die völlig isoliert von unserer Gesellschaft ihren Lebensstil pflegen.

Trotzdem werfen Sie mit dem Vorstoß auch politische Grundsatzfragen auf. In Peru ist es in den vergangenen Wochen aufgrund der geplanten Erdölförderung zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Polizei und Ureinwohnern gekommen, weil diese auf ihr Mitbestimmungsrecht pochen. Wie sehen Sie diesen Konflikt?
Ecuador gehört seit 40 Jahren zu den Erdöl-Förderstaaten. Die Lehre aus dieser Zeit ist, dass dieses Geschäft das Leben der Menschen nicht zwangsweise verbessert. Wir wissen inzwischen, dass die Menschen in den Förderregionen zuallererst von diesem Geschäft profitieren müssen. Ihre Interessen dürfen nicht übergangen werden.

Marcela Aguiñaga ist Umweltministerin Ecuadors. Zusammen mit Außenminister Fander Falconi Benitez war sie vor wenigen Tagen in Berlin zu Gast, um für eine neuartige Umweltinitiative zu werben. Über das Vorhaben, Erdöl nicht zu fördern, über das Kyoto-Protokoll und die Unruhen in Peru sprach mit ihr ND-Mitarbeiter Harald Neuber.

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